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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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nicht. Er starrt auf die Straße.
    Früher konnte ich mit ihm über alles reden. Daran kann sich doch jetzt nichts geändert haben. Ist heute niemand mehr der, der er noch gestern war? »Patrick«, sage ich.
    Er unterbricht mich mit einer jähen Handbewegung. »Nina, es ist schon schlimm genug. Jedesmal, wenn ich daran denke, was du getan hast, muß ich an den Abend davor denken, im »Tequila Mockingbird«. Was ich da zu dir gesagt habe.«
    Solche Menschen müßte man erschießen . Bis jetzt hatte ich nicht mehr daran gedacht. Oder doch? Ich strecke den Arm aus, um seine Schulter zu berühren, um ihm zu versichern, daß es nicht seine Schuld ist, aber er weicht zurück. »Egal, was du denkst, du irrst dich. Ich –«
    Plötzlich stoppt Patrick den Wagen am Straßenrand. »Bitte, sprich nicht mit mir darüber. Ich muß in deinem Prozeß als Zeuge aussagen.«
    Aber Patrick war immer mein Vertrauter. Mich wieder in die schützende Schale des gespielten Wirrseins zurückzuziehen scheint mir noch verrückter. Ein Kostüm, das mir zwei Nummern zu klein ist. Ich blicke ihn fragend an, und wie üblich antwortet er mir schon, ehe ich die richtigen Worte gefunden habe. »Sprich statt dessen mit Caleb«, sagt er und fädelt sich wieder in den mittäglichen Verkehrsfluß ein.
    Wenn man sein Kind in die Arme schließt, kann man manchmal die Landkarte der eigenen Knochen unter den Händen spüren oder den Duft der eigenen Haut in seinem Nacken riechen. Das ist eine der ungewöhnlichsten Erfahrungen als Mutter – daß man einen Teil von sich selbst sieht, getrennt und autonom, und doch könnte man ohne ihn nicht leben.
    Nathaniel wirft sich mir wie ein Wirbelwind in die Arme, und ich lasse mich von ihm mitreißen. »Mommy!«
    Ah , denke ich, deshalb .
    Ãœber den Kopf meines Sohnes hinweg sehe ich Caleb. Er steht ein Stück entfernt, das Gesicht teilnahmslos. Ich sage: »Danke für den Scheck.«
    Â»Du bist berühmt«, erklärt Nathaniel. »Dein Bild war in der Zeitung.«
    Â»Sohnemann«, sagt Caleb, »hast du Lust, dir ein Video anzugucken, in unserem Schlafzimmer?«
    Nathaniel schüttelt den Kopf. »Nur wenn Mommy mitkommt.«
    Â»Ich komme nach. Zuerst muß ich noch kurz was mit Daddy besprechen.«
    Also benehmen wir uns wie liebe, nette Eltern. Caleb setzt Nathaniel auf das weite Meer unserer Tagesdecke, ich lege ein Disney-Video ein. Und während er sich von einer Phantasiewelt verzaubern läßt, gehen Caleb und ich wie selbstverständlich in das Zimmer unseres kleinen Jungen und versuchen, die Wirklichkeit zu begreifen. Wir setzen uns auf das schmale Bett, umgeben von aufgedruckten exotischen Baumfröschen, einem Regenbogen in giftigen Farben. Über uns dreht sich ein Raupen-Mobile unbekümmert im Kreis. »Was zum Teufel hast du getan, Nina?« fragt Caleb, der Eröffnungsangriff. »Was hast du dir nur dabei gedacht?«
    Â»Hat die Polizei schon mit dir geredet? Haben Sie dir Ärger gemacht?«
    Â»Wieso sollten sie?«
    Â»Weil sie nicht wissen, daß du das nicht mit mir zusammen geplant hast.«
    Caleb sinkt in sich zusammen. »Hast du das denn? Geplant?«
    Â»Ich habe geplant, es ungeplant aussehen zu lassen«, erkläre ich. »Caleb, er hat Nathaniel etwas Schreckliches angetan. Er hat ihm sehr, sehr weh getan. Und er wäre ungestraft davongekommen.«
    Â»Das weißt du doch gar nicht –«
    Â»Doch. Ich erlebe es Tag für Tag. Aber diesmal geht es um mein Kind. Unser Kind. Was meinst du, wie viele Jahre Nathaniel deswegen Alpträume haben wird? Wie viele Jahre er eine Therapie wird machen müssen? Unser Sohn wird nie mehr so sein, wie er mal war. Szyszynski hat ihm etwas geraubt, das wir nie mehr zurückbekommen werden. Warum hätte ich ihn schonen sollen?«
    Â»Aber Nina. Du – « Er kann es nicht mal aussprechen.
    Â»Als du es erfahren hast, als Nathaniel seinen Namen ausgesprochen hat, was hast du da als allererstes gedacht?«
    Caleb senkt den Blick. »Ich wollte ihn umbringen.«
    Â»Genau.«
    Er schüttelt den Kopf. »Man hätte Szyszynski den Prozeß gemacht. Er wäre für seine Tat bestraft worden.«
    Â»Nicht genug. Kein Urteil, das irgendein Richter hätte verhängen können, hätte das wiedergutgemacht, das weißt du genau. Ich habe getan, was jede Mutter, jeder

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