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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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fahre mit den Fingerspitzen über die glänzende Täfelung. Mit einer Hand auf dem Türknauf halte ich inne, blicke über die Schulter nach hinten. Er macht sich Notizen in meiner Akte, genau wie ich es tue, wenn ich mit einem Fall beginne. »Fisher?« Er blickt auf. »Haben Sie Kinder?«
    Â»Zwei. Eine Tochter studiert in Dartmouth, die andere geht noch zur High School.«
    Plötzlich fällt mir das Schlucken schwer. »Schön«, sage ich leise. »Gut zu wissen.«

    Herr erbarme dich. Christus erbarme dich .
    Keiner von den Reportern, die zur Totenmesse für Pater Szyszynski in St. Anne’s gekommen sind, erkennt die schwarzgekleidete Frau, die in der vorletzten Reihe sitzt und das Kyrie nicht mitspricht. Ich habe mein Gesicht sorgsam hinter einem Schleier verborgen. Ich habe Caleb nicht gesagt, wo ich hingehe. Er denkt, ich komme nach meinem Termin bei Fisher direkt nach Hause. Doch statt dessen sitze ich hier, obwohl ich mich einer Todsünde schuldig gemacht habe, und lausche einem Erzbischof, der die Tugenden des Mannes preist, den ich getötet habe.
    Er wurde angeklagt, aber er wurde nie verurteilt. Es ist absurd, daß ausgerechnet ich ihn zum Opfer gemacht habe. Seine Gemeinde drängt sich in den Kirchenbänken. Die Menschen sind gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Alles ist in Silber und Weiß gehalten – die Gewänder der Geistlichen, die Szyszynskis Seele an Gott übergeben wollen, die Lilien, mit denen die Gänge geschmückt sind, die Meßdiener, die mit ihren Kerzen die Prozession anführen, das Tuch über dem Sarg – und die Kirche sieht so aus, wie ich mir den Himmel vorstelle.
    Der Erzbischof betet über dem schimmernden Sarg, zwei Priester neben sich, die Weihrauch und Weihwasser schwenken. Irgendwie kommen mir die beiden bekannt vor. Dann fällt mir ein, wer sie sind; es sind die Geistlichen, die vor kurzem hier in der Gemeinde zu Besuch waren. Ich frage mich, ob einer von den beiden die Pfarrstelle übernehmen wird, die ja jetzt verwaist ist.
    Ich bekenne vor Gott, dem Allmächtigen, daß ich gesündigt habe, durch meine Schuld.
    Der süßliche Duft der Kerzen und Blumen steigt mir zu Kopf. Die letzte Totenmesse, an der ich teilnahm, war die für meinen Vater, und sie war weit weniger pompös als diese hier, wenngleich ich den Gottesdienst mit demselben fassungslosen Gefühl erlebte. Ich erinnere mich noch an den Priester, der seine Hände auf meine legte und mir den größten Trost zusprach, den er kannte: »Er ist jetzt bei Gott.«
    Als das Evangelium verlesen wird, lasse ich den Blick über die Trauergemeinde schweifen. Einige ältere Frauen schluchzen. Die meisten starren den Erzbischof mit der Ernsthaftigkeit an, die ihm gebührt. Wenn Szyszynskis Leib Christus gehört, wer hat dann seine Gedanken gelenkt? Wer hat den Gedanken in sein Gehirn gepflanzt, einem Kind weh zu tun? Wieso hat er sich ausgerechnet mein Kind ausgesucht?
    Worte drängen an mein Ohr: übergeben wir seine Seele; bei seinem Schöpfer; Hosianna in der Höhe.
    Die Töne der Orgel vibrieren, und dann erhebt sich der Erzbischof, um die Laudatio zu halten. »Pater Glen Szyszynski«, beginnt er, »wurde von seiner Gemeinde geliebt.«
    Ich kann nicht sagen, warum ich hergekommen bin, woher ich wußte, daß ich notfalls einen Ozean durchschwimmen, Fesseln sprengen, über Berg und Tal rennen würde, um bei Szyszynskis Beerdigung dabeizusein. Vielleicht, weil sie für mich einen Abschluß darstellt; vielleicht, weil sie den Beweis liefert, den ich noch immer brauche.
    Das ist mein Leib .
    Ich sehe sein Gesicht im Profil vor mir, in dem Augenblick, bevor ich abdrücke.
    Das ist mein Blut .
    Seinen zerschmetterten Kopf.
    In die Stille hinein keuche ich auf, und die Menschen rechts und links von mir blicken mich neugierig an.
    Als wir wie Roboter aufstehen und in den Gang treten, um zur Kommunion zu gehen, bewegen sich meine Füße wie von selbst, ehe ich ihnen Einhalt gebieten kann. Vor dem Priester, der die Hostie hält, öffne ich den Mund. »Der Leib Christi«, sagt er und sieht mir in die Augen.
    Â»Amen«, antworte ich.
    Als ich mich umdrehe, fällt mein Blick auf die vorderste Reihe, wo eine Frau in Schwarz zusammengekrümmt sitzt und haltlos schluchzt. Ihre stahlgrauen Locken sind unter einen schwarzen Glockenhut gezwängt. Ihre Hände umklammern so fest

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