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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Vater würde tun wollen. Ich muß bloß den Eindruck erwecken, daß ich verrückt bin, damit ich nicht bestraft werde.«
    Â»Und du glaubst, das schaffst du?«
    Â»Ich weiß, was erforderlich ist, um für zurechnungsfähig erklärt zu werden. Ich brauche einen Angeklagten bloß reinkommen zu sehen, und ich kann dir auf Anhieb sagen, ob er verurteilt oder freigesprochen wird. Ich weiß, was man sagen, was man machen muß.« Ich blicke Caleb in die Augen. »Ich bin Anwältin. Aber ich hab vor den Augen eines Richters, eines ganzen Gerichtssaales, einen Menschen erschossen. Wieso hätte ich das tun sollen, wenn ich nicht verrückt bin?«
    Caleb schweigt einen Moment, scheint die Wahrheit in seinen Händen abzuwägen. »Warum erzählst du mir das?« fragt er leise.
    Â»Weil du mein Mann bist. Du kannst im Prozeß nicht gegen mich aussagen. Du bist der einzige , dem ich es erzählen kann.«
    Â»Warum hast du mir dann nicht erzählt, was du vorhattest?«
    Â»Weil du mich daran gehindert hättest«, erwidere ich.
    Als Caleb aufsteht und zum Fenster geht, folge ich ihm. Ich lege meine Hand sachte auf seinen Rücken. »Nathaniel hat es verdient«, flüstere ich.
    Caleb schüttelt den Kopf. »Das hat niemand verdient.«

    Man kann weiter funktionieren, während es einem das Herz im Leibe zerreißt. Das Blut pulsiert, die Lunge atmet. Was verlorengeht, sind die Gefühlsregungen. Stimme und Alltagshandlungen scheinen merkwürdig hohl, was von einer Leere tief im Innern zeugt, die unendlich ist. Caleb starrt diese Person an, die noch gestern seine Frau war, und erblickt eine Fremde. Er lauscht ihren Erklärungen und fragt sich, wann sie diese Fremdsprache erlernt hat, die für ihn völlig unverständlich ist.
    Natürlich hat sie genau das getan, was am liebsten alle Eltern dem Ungeheuer antun würden, das sich an einem Kind vergreift. Aber kaum jemand setzt es in die Tat um. Vielleicht denkt Nina wirklich, daß sie Nathaniel gerächt hat, aber der Preis war unverhältnismäßig hoch. Wäre Szyszynski ins Gefängnis gekommen, hätte das für sie zwar nur einen schwachen Trost bedeutet, aber sie wären noch immer eine Familie gewesen. Falls Nina ins Gefängnis kommt, verliert Caleb seine Frau. Nathaniel verliert seine Mutter.
    Caleb spürt in den Muskeln seiner Schultern ein Brennen, wie von Säure. Er ist wütend und ratlos und vielleicht auch ein bißchen ehrfürchtig. Er hat jeden Zentimeter dieser Frau erkundet, er weiß, was sie zum Weinen bringt und was ihre Leidenschaft weckt. Er kennt jede Narbe und jede Linie ihres Körpers; aber sie selbst kennt er überhaupt nicht.
    Nina steht hoffnungsvoll neben ihm, wartet auf seine Bestätigung, daß sie das Richtige getan hat. Seltsam, daß sie sich über Recht und Gesetz erhebt, aber doch seine Zustimmung braucht. Aus diesem Grund und aus all den anderen Gründen wird er die Worte, die sie von ihm hören möchte, nicht aussprechen.
    Als Nathaniel ins Zimmer kommt, die Decke vom Eßtisch um die Schultern drapiert, sucht Caleb bei ihm Halt. In dieser fremden Wildnis ist Nathaniel das einzige, das er wiedererkennt. »Hallo!« ruft Caleb mit übertriebener Begeisterung und wirft den Jungen in die Luft. »Toller Umhang!«
    Auch Nina wendet sich um, ein Lächeln in ihrem eben noch ernsten Gesicht. Auch sie greift nach Nathaniel, und dann setzt sich Caleb den Jungen auf die Schultern, wo sie ihn nicht mehr erreichen kann.
    Â»Es wird schon dunkel«, sagt Nathaniel. »Gehen wir?«
    Â»Wohin?«
    Statt einer Antwort deutet Nathaniel zum Fenster hinaus. Unten auf der Straße ist ein ganzes Bataillon von kleinen Kobolden, Minimonstern, guten Feen unterwegs. Zum ersten Mal fällt Caleb auf, daß das Laub von den Bäumen gefallen ist, daß grinsende Kürbisse wie träge Hennen auf der Mauer vom Nachbarhaus hocken. All diese Anzeichen für Halloween hat er doch tatsächlich übersehen!
    Er blickt Nina an; ihr ist es ähnlich ergangen. Prompt klingelt es unten an der Tür. Nathaniel strampelt auf Calebs Schultern. »Los, aufmachen! Aufmachen!«
    Â»Das geht jetzt nicht.« Nina wirft ihm einen hilflosen Blick zu. Sie haben keine Süßigkeiten im Haus.
    Schlimmer noch, sie haben auch kein Kostüm. Caleb und Nina begreifen das gleichzeitig, und es bringt sie einander näher. Beide

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