Die Macht des Zweifels
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Was für eine Frau ist das, die nicht mal ein Foto ihres Kindes oder ihres Mannes auf dem Schreibtisch stehen hat?
Die Tür geht auf, und zwei Detectives der Polizei von Biddeford kommen herein â Evan Chao und Patrick Ducharme, wenn Quentin sich recht erinnert. »Bitte sehr«, sagt er und deutet auf die Stühle vor dem Schreibtisch, »nehmen Sie Platz.«
Sie bilden eine massive Front, und ihre Schultern berühren sich beinahe. Quentin nimmt eine Fernbedienung und schaltet den Videorecorder auf dem Regal hinter ihnen ein. Er selbst hat sich das Band schon x-mal angesehen, und er geht davon aus, daà auch die Detectives es kennen. Verdammt, fast ganz New England hat die Bilder inzwischen gesehen. Chao und Ducharme drehen sich um, starren fasziniert auf den kleinen Bildschirm, wo Nina Frost geradezu anmutig auf den Priester zugeht und eine Pistole hebt. In dieser Version, die nicht geschnitten ist, kann man sehen, wie die rechte Seite von Glen Szyszynskis Kopf förmlich explodiert.
»Mein Gott«, murmelt Chao.
Quentin läÃt das Band laufen. Diesmal sieht er es sich nicht an â er beobachtet die Reaktionen der Detectives. Er kennt weder Chao noch Ducharme, aber er weiÃ, daà sie sieben Jahre lang mit Nina Frost zusammengearbeitet haben â mit Quentin erst vierundzwanzig Stunden. Als die Kamera wild herumschwenkt und schlieÃlich den Kampf zwischen Nina und den Gerichtsdienern einfängt, blickt Chao nach unten. Ducharme starrt entschlossen auf den Bildschirm, aber sein Gesicht wirkt völlig ausdruckslos.
Quentin schaltet den Fernseher aus. »Ich hab die Zeugenaussagen gelesen, alle 124. Und natürlich schadet es nichts, das ganze Fiasko in Multicolor auf Band zu haben.« Er beugt sich vor, die Ellbogen auf Ninas Schreibtisch. »Die Beweislage ist klar. Die einzige offene Frage lautet: Ist sie unzurechnungsfähig oder nicht? Sie wird es entweder damit versuchen oder mit Wut in extremer Form.« Er blickt Chao an und fragt: »Waren Sie bei der Autopsie dabei?«
»Ja.«
»Und?«
»Die Leiche wurde schon zur Bestattung freigegeben, aber den Bericht kriege ich erst, wenn die medizinischen Unterlagen des Opfers vorliegen.«
Quentin verdreht die Augen. »Als ob die Todesursache noch geklärt werden müÃte.«
»Nicht deshalb«, schaltet Ducharme sich ein. »Die habenâs gern, wenn die medizinischen Unterlagen dem Bericht beiliegen. Das ist so üblich.«
»Tja, die sollen sich beeilen«, sagt Quentin. »Es ist mir egal, ob Szyszynski AIDS im letzten Stadium hatte ⦠daran ist er nicht gestorben.« Er öffnet die Akte auf dem Schreibtisch und wedelt mit einem Blatt vor Patrick Ducharme herum. »Was zum Teufel ist das?«
Der Detective nimmt es entgegen und erkennt seinen Bericht über die Vernehmung von Caleb Frost, der in Verdacht geraten war, sich an seinem eigenen Sohn vergangen zu haben. »Der Junge war stumm«, erklärt Patrick. »Er hatte ein wenig Zeichensprache gelernt, und als wir von ihm wissen wollten, wer der Täter ist, hat er immer wieder das Zeichen für Vater gemacht.« Patrick gibt das Blatt zurück. »Deshalb haben wir uns zunächst auf Caleb Frost konzentriert.«
»Wie hat die Mutter reagiert?« fragt Quentin.
»Sie hat sich eine einstweilige Verfügung gegen ihren Mann besorgt.«
»Davon will ich eine Kopie.«
Patrick zuckt die Achseln. »Die ist aufgehoben worden.«
»Mir egal. Nina Frost hat den Mann erschossen, den sie für den Vergewaltiger ihres Sohnes gehalten hat. Aber nur vier Tage zuvor hatte sie einen anderen Mann für den Täter gehalten. Ihr Anwalt wird den Geschworenen weismachen wollen, daà sie den Priester erschossen hat, weil er ihr Kind miÃbraucht hat ⦠aber wie konnte sie sich da so sicher sein?«
»Es gab Spermaspuren«, sagt Patrick. »Auf der Unterhose ihres Sohnes.«
»Ja.« Quentin blättert etliche Seiten weiter. »Wo ist die DNA -Analyse?«
»Noch im Labor. MüÃte diese Woche kommen.«
Quentin hebt langsam den Kopf. »Sie hat nicht mal die Ergebnisse der DNA -Analyse abgewartet?«
Ein Muskel an Patricks Kinnpartie zuckt. »Nathaniel hat es mir gesagt. Ihr Sohn. Er hat den Namen des Täters genannt.«
»Mein Neffe ist auch fünf Jahre alt, und der erzählt mir, daà die Zahnfee ihm einen Dollar unter das Kopfkissen gelegt hat, aber das
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