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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Treppe hinaufsteigt, streifen sich ihre Schultern.
    Er fährt natürlich nicht zum Baumarkt. Statt dessen kurvt er ziellos durch die Gegend und hält schließlich vor dem »Tequila Mockingbird«, der kleinen Bar, von der Nina gelegentlich spricht. Er weiß, daß sie sich hier einmal pro Woche mit Patrick zum Mittagessen trifft. Er weiß sogar, daß der Barkeeper mit dem Pferdeschwanz Stuyvesant heißt. Aber Caleb war noch nie in dem Lokal, und als er den jetzt am Nachmittag nahezu leeren Raum betritt, hat er das Gefühl, als trüge er ein Geheimnis in sich.
    Â»Hallo«, sagt Stuyvesant, als Caleb am Tresen stehenbleibt. Welchen Hocker nimmt Nina immer? Er starrt einen nach dem anderen an und versucht, ihren Stammplatz zu erraten. »Was möchten Sie trinken?«
    Caleb trinkt normalerweise Bier. Harte Drinks waren noch nie sein Geschmack. Aber er bestellt ein Glas Talisker, ein Name, den er von einer Flasche hinter der Theke abliest und der nach mildem Whiskey klingt. Stuyvesant stellt ihm das Glas und ein Schälchen Erdnüsse hin. Drei Hocker weiter sitzt ein Geschäftsmann, und an einem Tisch kämpft eine Frau mit den Tränen, während sie einen Brief schreibt. Caleb prostet dem Barkeeper zu. » Sláinte «, sagt er, weil er das mal in einem Film gehört hat.
    Â»Ire?« fragte Stuyvesant und wischt mit einem Tuch über die polierte Theke.
    Â»Mein Vater war Ire.« In Wahrheit sind Calebs Eltern beide in den USA geboren, und seine Vorfahren stammen aus Schweden und England.
    Â»Tatsache?« Der Geschäftsmann blickt zu ihm herüber. »Meine Schwester lebt im County Cork. Herrliches Fleckchen Erde.« Er lacht. »Warum um alles in der Welt sind Sie hierhergekommen?«
    Caleb nippt an dem Whiskey. »Mir blieb nicht viel anderes übrig«, lügt er. »Ich war zwei Jahre alt.«
    Â»Sind Sie aus Sanford?«
    Â»Nein. Bin geschäftlich hier.«
    Â»Sind wir das nicht alle?« Der Mann hebt sein Bierglas. »Gott segne das Spesenkonto, hab ich recht?« Er winkt Stuyvesant. »Noch eine Runde für uns«, sagt er und dann zu Caleb: »Ich geb einen aus. Oder besser gesagt: mein Arbeitgeber.«
    Sie sprechen über die bevorstehende Eishockeysaison und daß schon der erste Schnee in der Luft liegt. Sie vergleichen die Vorzüge des Mittleren Westens, wo der Geschäftsmann herkommt, mit denen von New England. Caleb weiß nicht, warum er dem Mann nicht die Wahrheit sagt. Die Lügen gehen ihm ganz leicht über die Lippen, und es ist seltsam befreiend, daß der Mann ihm anscheinend alles glaubt, was er sagt. Und so behauptet Caleb, er komme aus Rochester, New Hampshire, wo er tatsächlich schon einmal war. Er erfindet einen Firmennamen, ein neues Produkt im Bereich Baumaschinen und eine Vergangenheit voller hervorragender Leistungen. Er läßt die Lügen nur so heraussprudeln und empfindet ein seltsames Vergnügen daran.
    Der Mann wirft einen Blick auf seine Uhr und flucht leise. »Ich muß zu Hause anrufen, daß ich später komme. Sonst denkt meine Frau, ich hätte meinen Leihwagen um einen Baum gewickelt. Sie wissen schon.«
    Â»War nie verheiratet«, sagt Caleb achselzuckend und zieht den Talisker durch die Zähne.
    Â»Sehr klug.« Der Geschäftsmann rutscht von dem Hocker und geht nach hinten zu einem Münztelefon, von dem Nina hin und wieder, wenn der Akku ihres Handys leer war, Caleb angerufen hat. Als er an Caleb vorbeikommt, streckt er ihm die Hand entgegen. »Ich heiße übrigens Mike Johanssen.«
    Caleb schüttelt sie. »Glen«, entgegnet er. »Glen Szyszynski.«
    Zu spät fällt ihm ein, daß sein Vater ja angeblich Ire war, nicht Pole. Daß Stuyvesant, der ja hier lebt, den Namen ganz sicher wiedererkennt. Aber weder das eine noch das andere spielt eine Rolle. Denn als der Geschäftsmann zurückkommt und Stuyvesant schließlich stutzt, hat Caleb die Bar schon verlassen.

    Der vom Staat bestellte Psychiater ist so jung, daß ich den Impuls unterdrücken muß, ihm übers Haar zu streichen. Aber wenn ich das täte, würde Dr. Storrow vermutlich vor Angst sterben, weil er meint, ich wollte ihn mit dem Riemen meiner Handtasche erwürgen. Deshalb hat er darauf bestanden, mich im Gericht in Alfred zu treffen, und ich muß sagen, ich kann das nachvollziehen. Sämtliche Klienten dieses Mannes sind entweder Verrückte oder

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