Die Macht
seines weißen Hemds aufgekrempelt und den obersten Knopf geöffnet. Die aktuelle Krise schien ihm sehr zu schaffen zu machen.
Hayes nahm seine Lesebrille zur Hand und drehte sie in der Hand herum. »Irene, ich habe gehört, dass Sie sich heute Nachmittag vor dem Ausschuss sehr gut geschlagen haben.«
»Es scheint recht glatt gegangen zu sein.«
»Gut«, sagte der Präsident und wandte sich Mitch Rapp zu. »General Flood berichtete mir, dass er heute Morgen mit Ihnen gesprochen hat.«
»Das stimmt.«
»Und was halten Sie von der Sache?«
»Ich denke, wir haben da ein verdammt großes Problem.«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte der Präsident, »und genau darum wäre es mir sehr recht, wenn Sie uns bei der Sache helfen würden.« Der Oberbefehlshaber der einzigen Supermacht der Welt sah dem Mann in die Augen, der eine seiner besten Waffen im Konfliktfall war.
Rapp wusste bereits, wie er antworten würde. Es gab drei verschiedene Dinge, die seine Gedanken den ganzen vergangenen Tag lang beherrscht hatten: Anna, Donatella und Bagdad. Sobald er aufhörte, über eines der drei Themen nachzudenken, drängte sich ihm auch schon das nächste auf. Ohne es sich bewusst zu machen, hatte er bereits begonnen, einen Abwehrmechanismus in Gang zu setzen, was Anna betraf. Der Vorfall in Italien hatte seine Gefühle verletzt, und allmählich fragte er sich, ob sie überhaupt die Richtige für ihn war. Sie konnte es unmöglich sein, wenn sie ihm nicht einmal Gelegenheit gab, sich zu rechtfertigen. Je länger er darüber nachdachte, wie abrupt sie aus dem Hotelzimmer gestürmt war, umso größer wurde seine Distanz. Wenn sie nicht verstehen konnte, wie wichtig die Dinge waren, mit denen er im Moment zu tun hatte, dann war er ohne sie besser dran.
Womit er jedoch nicht gerechnet hatte, waren die schmerzlichen Erinnerungen an Anna, die auf ihn einstürmten, als er nach Hause kam und überall Dinge sah, die ihn an sie denken ließen. Er packte rasch seine Sachen und verließ das Haus so schnell wie möglich. Mitch gestand es sich nicht ein – doch er hätte in Wirklichkeit fast alles dafür getan, wenn sie zurückgekommen wäre. Diesen Gedanken ließ er jedoch nicht mehr zu, weil er bereits dabei war, innerlich eine Mauer zwischen sich und Anna aufzubauen. Es ging ihm darum, diesen kurzen Abschnitt seines Lebens so schnell wie möglich zu verdrängen, damit er sich den dringenderen Problemen widmen konnte.
»Wir brauchen in dieser Sache wirklich Ihre Hilfe, Mitch«, redete der Präsident ihm zu.
Rapp hatte seinen Entschluss ohnehin schon gefasst. Aus einer ganzen Reihe von guten Gründen wollte er nicht, dass das Krankenhaus von der Air Force bombardiert wurde. Die Patienten, Ärzte und Schwestern mussten verschont werden, wenn es sich irgendwie machen ließ, aber auch die politischen Konsequenzen des Bombenangriffs wären fatal gewesen. Den verschiedenen terroristischen Gruppierungen im Nahen und Mittleren Osten wäre es nach einem amerikanischen Bombenangriff ein Leichtes gewesen, zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen aufzutreiben. Das Feindbild USA würde den Terroristen neuen Aufschwung verleihen. Niemand würde darauf hinweisen, wie verabscheuungswürdig es war, dass Saddam die Atomwaffen ausgerechnet unter einem Krankenhaus deponiert hatte. Die Wut würde sich ausschließlich gegen Amerika richten.
Genau das würde er auch dem Präsidenten und Irene Kennedy darlegen, doch es gab noch einen dritten Grund, den Rapp niemals erwähnen würde – einen Grund, den nur ein Krieger verstehen würde. Colonel Gray dachte bestimmt genauso wie er. Es war die Herausforderung einer solchen Mission, die nur sehr wenigen zuteil wurde. Diese Operation würde möglicherweise in die Geschichte eingehen. Sie würde entweder als einer der größten Erfolge der Sondereinsatzkräfte gefeiert werden oder als furchtbares Desaster in Erinnerung bleiben. Es wäre so etwas wie der Mount Everest der verdeckten Operationen. Es kam für Rapp nicht infrage, eine solche Herausforderung nicht anzunehmen.
»Sir«, sagte Rapp zum Präsidenten, »Sie können auf mich zählen.«
Präsident Hayes seufzte erleichtert. »Sie wissen gar nicht, wie beruhigend es für mich ist, dass Sie mitmachen.«
»Ich werde tun, was ich kann.«
»Davon bin ich überzeugt. Haben Sie schon eine Vorstellung, wie Sie ins Land eindringen werden?«
»Ich habe einige Ideen, aber ich möchte das zuerst mit Colonel Gray diskutieren.«
»Alles klar.«
»Sir«,
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