Die Macht
Schicksal war, dass er in jener schrecklichen Nacht im Weißen Haus da war, um sie zu retten. Okay, vielleicht war das tatsächlich Schicksal gewesen – aber dann war es vielleicht auch Schicksal, dass das Ganze in die Brüche gegangen war, bevor er sie fragen wollte, ob sie ihn heiraten würde. Bis zu einem gewissen Grad glaubte Rapp an so etwas wie Schicksal oder zumindest daran, dass es einen tieferen Sinn hatte, warum manches im Leben so und nicht anders passierte. Und wenn er und Anna wirklich füreinander bestimmt waren, dann würde sie da sein, wenn er zurückkam.
Colonel Gray wartete bereits auf Rapp, als das Flugzeug auf der Pope Air Force Base bei Fort Bragg landete. Er trug grüne Arbeitskleidung mit Tarnmuster und hatte sein Barett auf. Obwohl es spätherbstlich kühl war, hatte er die Ärmel bis zur Mitte seiner kräftigen, sonnengebräunten Unterarme hochgekrempelt. Im Gegensatz zu den meisten seiner Männer trug Gray sein Haar sehr kurz, seit er nicht mehr an vorderster Front im Einsatz war. Die Leute von der Delta Force waren von den Vorschriften der Army, was die Haarlänge betraf, befreit. Dies hatte den Zweck, dass sie auf ihren Missionen unter Zivilisten möglichst nicht auffallen sollten.
Gray war Mitte vierzig und körperlich immer noch in Topform. Er joggte fünfmal die Woche acht Kilometer und hielt auch auf der Hindernisstrecke noch mit den jungen Rekruten mit. Gray war davon überzeugt, dass er seinen Männern stets mit gutem Beispiel vorangehen musste.
Als Rapp aus dem Flugzeug stieg, kam Gray sofort auf ihn zu, um ihm mit dem Gepäck behilflich zu sein. Sie verstauten die Seesäcke und die Reisetasche im Humvee des Colonels und stiegen ein.
»Danke, dass Sie gekommen sind, Mitch. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als ich hörte, dass Sie sich zurückziehen möchten.«
Rapp ging nicht näher auf das Thema ein, um nicht wieder von seinem katastrophalen Liebesleben anfangen zu müssen. »Ich werde eben alt, Colonel«, sagte er nur.
»Das ist doch Quatsch. Alt sind Sie, wenn Sie in mein Alter kommen. Sie sind doch immer noch ein junger Spund.«
Rapp schätzte Gray auf Mitte vierzig, was nach Special-Forces-Maßstäben fast schon uralt war. »Wo geht es heute hin?«, fragte er.
Gray nahm eine scharfe Kurve mit dem Humvee und gab sofort wieder Gas. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen, bevor wir zum Briefing gehen.«
Eine Minute später fuhren sie in einen großen Flugzeughangar ein, wo gerade eine schwere C-141-Starlifter-Maschine beladen wurde. Der Colonel stellte den Wagen ab und stieg zusammen mit Rapp aus. Beim Heck des Flugzeugs standen drei Fahrzeuge, die mit grauen Planen bedeckt waren. Gray trat zu einem der Wagen und zog die Plane weg, sodass ein weißer Mercedes Benz der E-Klasse zum Vorschein kam.
»Was halten Sie davon?«
Rapp lächelte. »Nichts für ungut, Colonel, aber die Army ist nicht gerade bekannt dafür, dass sie mit Geld um sich wirft. Wie sind Sie zu diesen Limousinen gekommen?«
Gray öffnete die Tür an der Fahrerseite. »Wir erweisen der Drug Enforcement Administration immer wieder mal einen kleinen Gefallen. Wir helfen bei der Ausbildung ihrer SWAT-Jungs mit und greifen ihnen auch beim taktischen Training unter die Arme.«
»Und?«
»Ich habe ihnen gesagt, dass sie es mich wissen lassen sollen, wenn sie mal zufällig ein paar Mercedes-Limousinen in die Hände kriegen. Wir haben sie ziemlich billig bekommen.«
»Hat man sie von irgendwelchen Drogendealern beschlagnahmt?«
»Ja. Und sie sind sogar gepanzert. Die Limousinen haben irgendeinem wahnsinnigen Dealer in Miami gehört. Eine weiß, eine schwarz und eine silberfarben. Wir haben sie alle weiß lackiert.« Gray zeigte auf die andere Seite des Wagens. »Steigen Sie ein. Ich möchte Ihnen ein paar Dinge zeigen.«
Rapp setzte sich auf den Beifahrersitz und betrachtete das Armaturenbrett. Colonel Gray zeigte auf einen Computerbildschirm unter dem Radio. »Der Wagen ist serienmäßig mit einem GPS-System ausgestattet. Wir haben uns von den Techno-Freaks im National Reconnaissance Office das gesamte Straßensystem von Bagdad einprogrammieren lassen, und dazu noch die wichtigsten Zufahrtsstraßen zur Stadt.«
Rapp nickte. »Haben wir das in allen drei Wagen?«
»Ja.«
»Das ist gut. Dann kann uns kein zweites Mogadischu passieren.« Rapp bezog sich auf eine Operation in Somalia im Jahr 1993, als eine Task Force der U.S. Special Forces ein fürchterliches Desaster
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