Die Macht
Akten, die auf dem Konferenztisch gestapelt waren. Rapp war zuvor nur zweimal in diesem Büro gewesen und blickte sich um, um zu sehen, was sich seit Stansfields Tod geändert hatte. Wie es schien, war noch alles beim Alten. Die Fotos und Auszeichnungen des alten Meisteragenten hingen immer noch an den Wänden. Rapp fragte sich, ob Irene noch nicht dazu gekommen war, das alles zu entfernen, oder ob es ihr einfach schwer fiel, sich von ihrem alten Boss und Mentor zu lösen.
»Wir haben gerade ein ziemliches Chaos hier«, sagte Irene mit einem traurigen Lächeln. »Während ich auf der Beerdigung war, haben mir meine Mitarbeiter alles von meinem alten Büro hierher gebracht. Anweisung von Thomas. Sogar vom Grab aus zieht er noch die Fäden.« Irene ging auf Rapp zu und umarmte ihn freundschaftlich.
Mit der Kaffeetasse in der einen Hand legte er seine freie Hand um ihre Taille. »Es tut mir Leid, dass ich nicht zum Begräbnis kommen konnte, aber im Moment ist alles ein wenig …«
»Du brauchst es mir nicht zu erklären«, warf Irene ein. »Du bist es immer noch nicht gewohnt, dich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Keiner hätte das besser verstanden als Thomas.«
»Weißt du, ich habe den alten Kauz wirklich sehr geschätzt.«
Irene Kennedy ließ ihn los und bat ihn, auf der Couch Platz zu nehmen. »Er hat dich auch sehr geschätzt, Mitch«, sagte sie und setzte sich auf einen Ledersessel. »Aber das weißt du ja ohnehin, nicht wahr?«
Rapp zuckte verlegen die Achseln; es war ihm unangenehm, gelobt zu werden.
»Ich weiß es jedenfalls, dass es so war. Er hat mir einmal gesagt, dass du wahrscheinlich der Beste bist, den er in all den Jahren in diesem Geschäft gesehen hat.« Irene Kennedy lehnte sich auf ihrem Sessel zurück und sah, wie Rapp das Kompliment etwas verlegen aufnahm. Sie wünschte sich so sehr, dass er bereit wäre, hier in Langley zu arbeiten und der Antiterrorzentrale seine Erfahrung zugute kommen zu lassen. Rapps Kenntnis des Nahen und Mittleren Ostens, sein Wissen über die verschiedenen terroristischen Zellen und ihre Operationsweise wäre für die Zentrale von unschätzbarem Wert gewesen. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen, dass er nicht mehr an vorderster Front kämpfen wollte. Niemand machte diese Arbeit ewig – sie forderte körperlich und seelisch einfach zu viel. Ja, sie hatte schon vor einigen Jahren begonnen, einen Nachfolger für Rapp auszubilden, und der junge Mann machte sich wirklich gut. Doch jetzt, mit ihren neuen Pflichten als Direktorin der Agency, konnte sie das Orion-Team nicht mehr selbst leiten. Und sie wusste nicht, ob sie die heiklen Missionen des Teams irgendjemand anderem anvertrauen konnte als Mitch Rapp.
Außerdem konnte sie sehr gut jemanden innerhalb der Agency brauchen, der ihr Rückendeckung gab. Die missglückte Operation in Deutschland hing immer noch wie eine dunkle Wolke über ihnen. Es gab offenbar irgendjemanden, der Dinge wusste, die er nicht wissen sollte. Dieser Jemand arbeitete entweder für die Agency, oder er stand mit jemandem in Verbindung, der hier tätig war. Irene Kennedy glaubte eher, dass Letzteres der Fall war. Auch Stansfield war dieser Ansicht gewesen. Vor seinem Tod hatte er noch darauf hingewiesen, dass Rapp nicht das eigentliche Ziel der Attacke in Deutschland gewesen sei. Es war wohl so, dass jemand seinen Tod wollte – aber nicht, um sich an ihm persönlich zu rächen. Rapp sollte vielmehr tot neben Graf Heinrich Hagenmüller aufgefunden werden. Stansfield war überzeugt, dass der Skandal, zu dem es dadurch gekommen wäre, der CIA und wahrscheinlich auch dem Präsidenten schaden sollte. Es gab also jemanden, der ganz offensichtlich verhindern wollte, dass Irene Kennedy die Leitung des einflussreichsten Geheimdienstes der Welt übernahm.
»Wie geht’s Tommy?«, erkundigte sich Rapp nach Irenes sechsjährigem Sohn.
»Ganz gut. Man kann ihm direkt beim Wachsen zusehen. Er hat neulich nach dir gefragt. Du solltest mal wieder vorbeikommen und ihn besuchen.«
»Ich weiß«, sagte Rapp mit einem säuerlichen Lächeln. »Es war in letzter Zeit alles ein bisschen schwierig. Und ich will nicht, dass er am Ende noch in meine Probleme hineingezogen wird.«
Irene schätzte es sehr, dass er so rücksichtsvoll war, und sagte ihm das auch. Sie würden später über ihr gemeinsames Problem sprechen. »Wie geht es Anna?«
»Gut, danke.«
»Hast du mit ihr über den Job gesprochen, den wir dir angeboten haben?«
»Ja.«
»Und … was hält sie
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