Die Macht
würden sie nicht Ben Freidman aus Tel Aviv herschicken. Sie würden eher ihren Botschafter damit beauftragen, oder der Ministerpräsident würde anrufen.« Sie hielt inne und dachte über eine andere Möglichkeit nach. »Nein«, sagte sie schließlich, »wenn Ben Freidman persönlich kommt, dann heißt das, es gibt Ärger. Da muss etwas sehr Ernstes passiert sein.«
»Na großartig«, brummte der Präsident. »Und ihr habt natürlich keine Ahnung, was da läuft?«
»Tut mir Leid, Sir«, war alles, was Haik antworten konnte.
Der Präsident dachte einige Augenblicke nach. Er hätte am liebsten gleich den israelischen Ministerpräsidenten angerufen, doch dann überlegte er es sich doch anders. Der Ministerpräsident würde ohnehin in zwei Wochen zu einem Besuch in die USA kommen. Nein, es musste einen bestimmten Grund geben, warum er Freidman herüberschickte. Der Präsident wandte sich wieder Haik zu. »Sagen Sie General Flood, dass er herkommen soll. Ich will, dass er bei dem Gespräch dabei ist.«
Haik griff nach dem Telefon auf dem Schreibtisch des Präsidenten und tippte die Nummer des Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs ein. Wenige Sekunden später war General Flood am Apparat, und der Sicherheitsberater erläuterte ihm die Situation. Der General versicherte, er würde sich sofort auf den Weg machen.
Präsident Hayes blickte auf seine Uhr; es war Viertel nach acht. »Freidman kommt um neun?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Kennedy.
»Gut, ich will, dass Sie drei sich bis dahin überlegen, worum es bei der Sache gehen könnte«, sagte der Präsident – und seine drei engsten Berater sahen ihn ziemlich ratlos an.
Oberst Freidman und sein Leibwächter nahmen in der Connecticut Avenue ein Taxi. Freidman hätte jederzeit eine der Limousinen der Botschaft bekommen, doch er zog es vor, sich unauffällig zu bewegen. Wer in einer Limousine am Weißen Haus vorfuhr, der wurde zwangsläufig auch fotografiert. Es gab andere Städte, in denen Freidman nicht auf eine gepanzerte Limousine verzichtet hätte, doch in Washington war das zum Glück nicht nötig. Die verschiedenen Terrorgruppen im Nahen Osten wussten genau, dass es finanzieller und politischer Selbstmord gewesen wäre, einen Mordanschlag auf amerikanischem Boden zu versuchen.
Auf dem Weg zum Weißen Haus blickte Freidman aus dem Fenster des Taxis auf die Botschaften hinaus, an denen sie vorüberfuhren. In keiner anderen Stadt der Welt reihten sich die Zentren der Macht derart aneinander – und deshalb war Freidman mit seinem Anliegen hier genau an der richtigen Adresse. Er respektierte Amerika; schließlich war es der engste Verbündete seines Landes. Jahr für Jahr pumpten die Amerikaner ihre Dollarmilliarden in die israelische Wirtschaft, und die militärische Hilfe war ohnehin von unschätzbarem Wert – doch andererseits war Amerika das reichste Land der Erde. Es gab nicht wenige in Freidmans Heimat, die der Ansicht waren, dass Amerika mehr tun könnte – vor allem, um die Grenzen der einzigen echten Demokratie im Nahen Osten zu sichern. Freidman teilte diese Ansicht.
Seine Aufgabe war es, für die Sicherheit seines kleinen Heimatlandes zu sorgen, und er war zu allem bereit, was für Israel gut war. Er respektierte Amerika, aber die Treue zu seinem Vaterland hatte eindeutig Vorrang. Die Amerikaner waren nicht immer bereit, das zu tun, worum man sie bat – und deshalb machte Freidmans geheime Tätigkeit auch vor ihnen nicht Halt. Die unschöne Wahrheit war, dass der Mossad die USA ausspionierte. Doch das war noch nicht alles – es kam auch vor, dass man verdeckte Operationen gegen den engsten Verbündeten durchführte. Doch darum ging es bei diesem Treffen nicht – nein, sie würden heute als zwei Verbündete miteinander sprechen, die es mit einem gemeinsamen Feind zu tun hatten. In Ben Freidmans zynischer Sichtweise ging es darum, die USA dazu zu bringen, dass sie die Dreckarbeit für Israel erledigten.
Das Taxi hielt zwei Blocks vor dem Weißen Haus an, und die beiden Männer schlenderten gemächlich auf das Nordwesttor zu. Sie passierten die Sicherheitschecks und wurden von einem der Berater des Präsidenten in den Situation Room des Weißen Hauses geleitet. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, ging Freidmans Leibwächter sogleich in die Kantine des Weißen Hauses, um einen Kaffee zu trinken und so nebenbei vielleicht das eine oder andere interessante Gespräch mitzuhören; er wusste, dass sein Chef in diesem Haus sicher war. Als Freidman
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