Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
erfüllte.
Die drei Männer, die vor ihr auf dem ungepflasterten Lehmboden hockten, wirkten betroffen, ja sogar verzweifelt. Der Junge, der sie vorhin hier gefunden hatte, schob sich verstohlen die Hand in den Rücken, und da fiel ihr wieder ein, dass der Mann, der sie niedergestochen hatte, auch ihm einen Messerstich beigebracht hatte. Sie wollte etwas sagen, ihm für seinen Heldenmut danken, doch sie brachte nichts über die Lippen außer einem erstickten Röcheln. Sie schmeckte das Blut in ihrem Mund und gab den Versuch zu sprechen auf.
Der andere Mann, der sich im Hintergrund hielt, war der Älteste der drei. Er war von kleiner Gestalt und kahl bis auf wenige Haarbüschel, die ihm über den Ohren borstig vom Kopf abstanden.
Der dritte Mann war ihr am nächsten und hielt ihre Hand. Er war in den Zwanzigern und von angenehmem Äußeren. Sein Haar war heller als das der meisten Venezianer, von einem dunklen Blond. Sein Gesicht hätte schön sein können, wenn die Narbe, die senkrecht wie ein Blitz über seine rechte Braue lief, ihm nicht dieses bedrohliche Aussehen verliehen hätte. Seine Kleidung war solide und gut gearbeitet, aber schlicht. Vermutlich war er ein Kaufmann oder Handwerker.
Wieder fragte er sie etwas. Er hatte schon viele Fragen gestellt, aber bis auf die nach ihrem Namen hatte sie keine verstanden. Der Schmerz hatte ihr nicht nur die Fähigkeit zum Reden geraubt, sondern machte es ihr auch unmöglich, die Worte der Männer zu verstehen.
Sie wusste, dass sie sterben würde. Es war ihr schon klar gewesen, bevor der Mörder sein Messer in ihren Leib gestoßen hatte. Der erste Stich hatte noch geschmerzt. Es hatte so wehgetan, dass sie für einen Moment die Besinnung verloren hatte. Den zweiten und dritten Stich hatte sie dennoch gespürt, allerdings nur als dumpfe Schläge.
Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie hier neben der Mauer gelegen, und der Junge hatte vor ihr gekauert, einen entsetzten Ausdruck in den Augen.
Dann war er davongesprungen und hatte mit lauten Rufen ihren Mörder verfolgt.
Und jetzt war er wieder hier, zusammen mit den beiden anderen. Sie wollten ihr ganz offensichtlich helfen, diese drei Männer. Doch sie kamen zu spät. Mit jedem Herzschlag fühlte sie, wie das Leben aus ihr hinausströmte.
Trotzdem spürte sie immer noch einen Funken von Kraft in sich, gerade genug, um weiterzuatmen. Da war noch das Kind. Sie wusste, dass es bei einer der nächsten Wehen geboren werden würde, wenn sie selbst so lange durchhielt. Vielleicht würde es leben.
Ihre Hand glitt an ihrem gewölbten Bauch entlang hoch zu ihrem Hals, bis sie die Kette berührte. Der Anhänger war noch da. Ihre Fingerspitzen ertasteten das Amulett, dann begann sie, daran zu zerren, um es abzureißen.
Der Mann vor ihr reagierte auf ihre Bemühungen und hielt ihre Hand fest. Er sagte etwas, dann griff er vorsichtig in ihren Nacken und löste den Verschluss der Kette. Er legte ihr das Amulett in die offene Hand, doch sie schob es ihm wieder zu und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass er es behalten solle.
Für das Kind, wollte sie sagen. Doch sie konnte es nur denken.
Er schien sie dennoch verstanden zu haben. Vielleicht hatte er es auch an ihren Blicken erkannt, die abwechselnd zu ihm, ihrem Leib und dem Amulett in seiner Hand huschten.
Dann kam die nächste Wehe. Das Kind drängte aus ihr heraus, und trotz der einsetzenden Taubheit ihres Körpers spürte sie die Macht, mit der diese letzte Presswehe das Ende des Geburtsvorgangs einleitete.
Mein Leben für deines, dachte sie.
Ihre Gedanken trübten sich und waren bereits in einer anderen Welt. Es war dunkel, aber hinter ihren geschlossenen Lidern funkelte die Sonne auf dem Wasser der Lagune und spann Silberfäden vom Himmel bis zu den Dächern der Serenissima.
Ihre letzte bewusste Wahrnehmung war die Trauer darüber, dass sie nie ihr Kind würde sehen können.
»Bei allen Heiligen«, rief Pasquale verstört aus, als zwischen den weit gespreizten Beinen der Gebärenden ein rundes, blutverschmiertes Etwas hervortrat. Er hielt die Fackel, die er vorhin an der nächstbesten Fassade aus der Halterung gerissen hatte.
»Wie kann das Kind geboren werden, wenn sie tot ist?« Vittores Stimme klang gefasst, obwohl seiner Miene anzusehen war, dass er gegen sein Entsetzen ankämpfte.
»Sie lebt noch. Ihr Körper gebiert das Kind.« Piero hatte keine Ahnung, ob das zutraf, doch anders ließ es sich nicht erklären. Das Mädchen hatte bereits vor
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