Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
sich drückte.
Genau in diesem Moment ließ Vittore, der schon die ganze Zeit dem Gestank, der aus den Kanälen stieg, seine eigene Duftnote hinzugefügt hatte, einen laut blubbernden Furz entweichen. Jetzt erst bemerkte das Paar, dass es sich in unerwünschter Gesellschaft befand. Der Mann ließ die Frau los und wich in die Dunkelheit zurück, die Hand am Knauf seines Schwerts. Als er sah, dass er nichts zu befürchten hatte, drehte er sich einfach um und verschwand um die nächste Straßenecke.
Die Nonne war zunächst wie vom Donner gerührt stehen geblieben, wich dann aber furchtsam durch die Pforte zurück in den Innenhof des Klosters.
»Wartet«, bat Piero. Als sie zögerte, räusperte er sich. »Ich habe hier das Kind einer Toten«, hob er an, während er es ihr entgegenstreckte.
Nur einen Atemzug später hatte sie ihm die Tür vor der Nase zugeknallt. Piero trat einen Schritt vor, doch schon war das rostige Geräusch eines Riegels zu hören, mit dem sie ihrem Rückzug Nachdruck verlieh.
»Das Kind einer Toten?«, meinte Vittore zweifelnd. »Ob das wohl die richtigen Worte waren?«
»Du meinst, für ein unschuldiges Mädchen wie dieses?«, gab Piero in ätzendem Tonfall zurück.
Vittore zuckte die Achseln. »Es scheint zu stimmen, was man sagt.«
»Was sagt man denn?«, wollte Pasquale wissen. Seine Stimme klang leise und undeutlich.
»Dass Frauenklöster ein einziger Pfuhl der Sünde und des Verderbens sind«, belehrte ihn Vittore. »Es soll sogar Gesetze gegen die Ausschreitungen geben, aber es heißt, dass niemand sich daran hält, am allerwenigsten die Nonnen.«
Piero erinnerte sich, Ähnliches gehört zu haben, doch bisher hatte er darauf nicht viel gegeben, weil er stets davon überzeugt gewesen war, Klöster seien ebenso wie Kirchen Orte des Herrn. Trotzdem hielt sich sein Ärger über seine törichte Unwissenheit aus unerfindlichen Gründen in Grenzen. Mehr noch: Plötzlich fühlte er sich wie befreit. Ungläubig stellte er fest, dass sich sogar ein zaghaftes Glücksgefühl in ihm auszubreiten begann.
»Warum grinst du so?«, fragte Vittore misstrauisch. Er beschleunigte seine Schritte, um zu Piero aufzuschließen, während dieser im Eiltempo in Richtung San Marco zurückstrebte.
»Wir haben alles versucht«, sagte Piero in gespieltem Gleichmut, das Kind an seine Brust drückend. »Wir sind von Kirche zu Kirche gelaufen. Wir waren sogar bei einem Kloster. Niemand kann von uns verlangen, weitere Anstrengungen zu unternehmen.«
»Anstrengungen? Du meinst, um es loszuwerden? Den Teufel haben wir unternommen!« Vittore rannte schneller, um Piero zu überholen. Er ging ein paar Schritte rückwärts und zeigte mit dem Daumen hinter sich. »Da! Siehst du? Ein Campo! Eine Kirche! Mit einem Tor, vor dem wir es ablegen können!« Er stolperte über einen Betrunkenen, der in der Mitte des kleinen Kirchplatzes lang ausgestreckt neben der Zisterne auf der Erde lag und seinen Rausch ausschlief. Sich aufrappelnd und weiterlaufend, fuhr er fort: »Die Nonnen mögen herumhuren, aber die Pfaffen gewiss nicht! Sie haben zu viel Angst vor dem Fegefeuer! Und sie lieben Kinder! Sagte nicht schon unser Herr Jesus Christus: Lasset die Kindlein zu mir kommen?« Er trat an Pieros Seite und schnüffelte. »Was stinkt hier so?«
»Du wahrscheinlich«, sagte Piero, ungerührt an der Kirche vorbeischreitend.
»Niemals.« Vittore stieß einen Schrei aus. »Mein Wams! Das Kind hat hineingeschissen!«
»Kümmere dich lieber um Pasquale. Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest – er ist verwundet, und zwar schlimmer, als es vielleicht den Anschein hat.«
Der Junge war vor ihnen stehen geblieben und schwankte. Vittore war mit zwei Schritten bei ihm. Ohne eine Spur der ihm sonst eigenen Widerborstigkeit legte er den Arm um die Schultern des Jungen, um ihn während des restlichen Weges zur Mole zu stützen.
Sie erreichten ohne weitere Zwischenfälle den Kai und bestiegen den Sàndolo. Die Feier hatte während ihrer Abwesenheit nichts an lautstarker Heiterkeit eingebüßt. Betrunkene bevölkerten in Scharen den Markusplatz. Nicht wenige von ihnen waren bereits am Rand der Menge niedergesunken, wo sie bewusstlos vor sich hin schnarchten. Es roch nach Fusel, verbranntem Fleisch, beißendem Fackelqualm und menschlichem Schweiß. Aus den Gondeln, die im sacht schwappenden Wasser vor der Mole lagen, stieg der Gestank von Urin und Erbrochenem hoch.
»Wir hätten nach einem Waisenhospiz suchen sollen«, sagte Vittore
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