Die Maechtigen
schlendert zum Empfangstresen. Sie folgt ihm auf dem Fuß. »Ich kenne Beecher schon viel länger als Sie. Ich helfe ihm, seit diese Sache begonnen hat. Und jetzt glauben Sie, ich gebe diesem Gyrich irgendwelche Tipps oder was?«
»Das haben Sie gesagt, nicht ich«, erwidert Totte.
»Aber das könnte ebenso gut auf Sie zutreffen!«, schießt Clementine zurück. »Ach, stimmt ja – Sie haben vor drei Minuten diesen mysteriösen Anruf bekommen, wegen dem wir hierhergerast sind wie die Verrückten. Und Gyrich die perfekte Gelegenheit geboten haben, einzuchecken und dann zu sagen, alles klar. Ich sage Ihnen eines, tun Sie meinem Freund etwas an, dann werde ich dafür sorgen, dass es die ganze Welt erfährt.«
Ich warte darauf, dass Totte explodiert, stattdessen starrt er herunter auf die Mappe mit den drei roten Ringen, die auf dem Empfangstisch liegt.
Natürlich. Das Empfangsbuch …
»Beecher …«, sagt Totte.
Ich haste zum Tresen.
»Was?«, fragt Clementine. »Was ist denn jetzt wieder los?«
Totte ignoriert sie, blättert eine Seite zurück und schlägt dann wieder die aktuelle Seite auf.
»In diesem Raum steht jeden Tag ein Archivar für die Öffentlichkeit zur Verfügung«, erkläre ich ihr. »Wir haben ein bis zwei Stunden Bereitschaft, und wenn Besucher kommen, sind wir ihnen bei ihrer Suche nach Informationen behilflich. Der entscheidende Punkt ist der: Der Supervisor notiert auf die Minute genau die Zeit, in der jeder von uns hier Dienst tut.«
»Und rate mal, wer von den fünfzig Archivaren in diesem Gebäude laut diesen Aufzeichnungen vor kaum zehn Minuten hier war? Na, wer wohl?«, meint Totte und deutet mit seinem krummen Finger auf den letzten Namen auf dem Zettel.
16:52 Uhr – Dallas Gentry.
Mein Kollege. Und Büronachbar. Und zusammen mit Rina ist er für Präsident Wallace zuständig gewesen, als der dem SCIF einen Besuch abgestattet hat.
45. Kapitel
Sechs Minuten zuvor.
Beim Haarschneiden legte André Laurent keinen Wert auf Geschwindigkeit. Es geht ihm dabei um Sorgfalt. Genauigkeit. Der Kunde bekommt genau das, was er erwartet. Zumindest überzeugt er die Kunden, dass sie genau das wollten, was er ihnen gegeben hat.
Aber das hier war etwas vollkommen anderes.
Als er den pfefferminzgrünen Raum der Suchhilfe im ersten Stock des Archivs betrat, verschwendete Laurent keine Sekunde.
Ohne jeden Zweifel ging es heute vor allem um Geschwindigkeit. Sonst ging es meistens darum, sich möglichst langsam zu bewegen; er musste nach oben in den Raum für Recherche gehen, einen Wagen mit Dokumenten, Pamphleten und einem halben Dutzend anderer Akten beladen und dann vor aller Augen etwas darin verstecken.
Aber falls es stimmte, was er in Ein Problem aus der Hölle gelesen hatte … Falls wirklich einer anderen Person das Wörterbuch in die Finger gefallen war …
Er mochte nicht mal daran denken.
Ein kurzer Blick in den Raum überzeugte ihn, dass er zumindest den richtigen Moment gewählt hatte. Auf Beamte ist Verlass. So kurz vor fünf Uhr war fast niemand mehr hier.
»Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein« rief eine ältere Angestellte, die einen Rollwagen voller kleiner Schachteln mit Mikrofilmen in den Leseraum links von ihnen schob.
»Danke, ich komme schon zurecht«, meinte Laurent ablehnend und winkte, bewegte sich aber nicht von der Stelle, bis sie verschwunden war.
Als sie außer Sichtweite war, ging er an dem großen Tisch vorbei zu den Bücherregalen an der Wand. Er zählte die Bücherregale, beim vierten Regal auf der rechten Seite hielt er an. Wie fast alle anderen war es mit alten Lederbänden gefüllt, die meisten braun und dunkelblau, dazwischen einige rote – jeder Band war einem anderen Thema gewidmet. Auf dem obersten Regal allerdings standen Aktenordner mit schwarzen Rücken und einige Broschüren. Laut Etikett handelte es sich um die Protokollgruppe 267 .
Laurent nickte. Hier war er richtig. Er schaute zurück über die Schulter, um sicherzugehen, dass der Aufseher tatsächlich verschwunden war.
Die Luft war rein.
Er griff nach dem oberen Regal und nahm mit zwei Fingern einen dicken schwarzen Aktenordner heraus. Er legte ihn über das Buch, das er dabeihatte – Ein Problem aus der Hölle – und stellte dann mit einer schnellen Bewegung beides wieder ins Regal. Dann ging er zur Tür.
Die Theorie war ebenso einfach wie elegant. Archivangestellte sind darauf abgerichtet zu verhindern, dass Besucher Dokumente mitnehmen. Keiner rechnet damit, dass
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