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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Damen, die vor der Telefonzelle miteinander schnatterten, hielten inne und wechselten missbilligende Blicke.
    Alex beeilte sich, den Dorfplatz zu überqueren.
    »Ein Anruf«, sagte Paul.
    »Und deshalb brüllst du den ganzen Ort zusammen?«
    Sein Freund schob ihn in den Schankraum. An der Theke drückte er Alex den Telefonhörer in die Hand. »Dein Vater!«
    Laura studierte Flyer, Hefter und Schulbücher auf Lisas Schreibtisch, aufmerksamer als am Vorabend. Sie hielt Ausschau nach einem Hinweis, den sie zuvor übersehen hatte. Aus einem der Mathehefte glitt ein Prüfungszettel. Die Klausur war mit einer Zwei benotet worden. Laura war erstaunt. Warum hatte ihre Tochter nichts davon erzählt? Hatte sie das wirklich nicht?
    Die Worte ihrer Tochter schossen ihr durch den Kopf: Nie hört Mama mir mal zu.
    Laura nahm alle Kleider und Blusen aus dem Schrank und fragte sich, ob sie diese in den Wochen oder Monaten zuvor tatsächlich noch nie an Lisa gesehen hatte. Sie konnte sich nicht entsinnen.
    Hastig schritt sie hinüber zu einem Regal, auf dem sich Fotoalben und andere Ordner aneinanderreihten. Zuerst blätterte sie durch die Kladden, aber hier fand sie nur vergilbte Zeitungsausschnitte über sportliche Schulerfolge, längst vergessene Popstars und sonstige Dinge, die für Lisa einst eine Bedeutung gehabt hatten. Was für eine Bedeutung, wusste Laura nicht.
    Mit einem Kloß im Hals klappte sie die Fotoalben auf. Länger als beabsichtigt ruhte ihr Blick auf den Babybildern und den Kindergartenaufnahmen. Die Fotos entlockten ihr ein wehmütiges Lächeln, dem bald Tränen folgten. Es waren Bilder aus einer glücklichen Zeit.
    Laura erschrak, als das Telefon klingelte. »Theis hier«, meldete sie sich.
    »Hallo, Frau Theis, hier ist Bertrams, die …«
    »Ja, ich weiß«, sagte Laura und schob hastig die Fotoalben beiseite. Dann lief sie in die Küche und zündete sich eine Marlboro an.
    »Ich habe das mit Ihrer Tochter erfahren, gestern im Fernsehen. Gibt es denn schon etwas Neues?«
    »Nein, leider … nicht.«
    »Oh, das tut mir aufrichtig leid. Ich wollte mich nur kurz bei Ihnen melden wegen unseres Termins heute Mittag. Den brauchen Sie natürlich nicht mehr wahrzunehmen.«
    »Ja«, sagte Laura, die längst nicht mehr daran gedacht hatte. Sie trat hinaus in den Garten. Wolken bedeckten den Himmel. Sie schnippte die Asche auf den Boden.
    »Frau Theis, ich wünsche Ihnen, dass alles wieder gut wird.«
    »Danke.«
    »Lisa war doch so ein liebes Kind.«
    Laura verschluckte sich am Qualm ihrer Zigarette. Lisa war doch so ein liebes Kind! Das klang, als wäre sie –
    Sie ist nicht tot! , wollte Laura schreien. Sie ist nur … abgehauen.
    »Ja«, war das Einzige, was sie hervorbrachte.
    »Und natürlich ist es auch kein Problem, wenn Lisas Bruder vorerst zu Hause bleibt.«
    »Nein, Sam soll in die Schule. Ich denke …« Laura hielt inne, als ein Geräusch im Gartenschuppen ihre Aufmerksamkeit erregte. Aber es war nur das Windspiel, das vom Holzdach baumelte. »Ich denke, es ist besser, wenn für ihn erst einmal alles ganz normal weitergeht.«
    »Ach so«, erwiderte die Lehrerin. »Ich dachte nur, weil Sam heute nicht in der Schule ist.«
    »Wieso ist Sam nicht in der Schule?«
    In diesem Moment ließ ein Klappern im Schuppen Laura herumfahren.
    Sam stand vor der Tür seines Onkels, er klingelte zum wiederholten Mal, aber niemand öffnete ihm. Das verwunderte ihn zwar nicht − Onkel Frank und Tante Renate waren sicherlich in der Arbeit, wie jeden Tag. Doch wie sollte Sam seinem Onkel von Zack und Lisa und allem anderen erzählen, das er bei den älteren Jungen aufgeschnappt hatte, wenn er ihn nicht antraf?
    Er spähte zum Grundstück seiner Mutter. Aber auch hier war der Wagen seines Onkels in der Zwischenzeit nicht vorgefahren. Die Straße lag noch immer verlassen da. Nur zwei alte Frauen unterhielten sich lautstark vor der Telefonzelle. Sam beschloss, seiner Mutter zu erzählen, was er erfahren hatte.
    Er wählte eine Abkürzung, einen steinigen Pfad, der zu den Rückseiten der Häuser führte. Als er den Gartenzaun erreichte, sah er seine Mutter aufgeregt telefonieren. Sie wirkte wütend. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war, mit ihr zu sprechen. Wahrscheinlich würde sie wieder mit ihm schimpfen. Warum bist du nicht in der Schule? Hast du wieder getrödelt?
    Unschlüssig hockte er sich hinter die Holzlatten. Er überlegte, ob er sich einfach in den Wald verdrücken sollte. Mit etwas

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