Die Mädchenwiese
schon. Die anderen haben das gesagt. Weißt du, wo ich ihn finde?«
»Das mit Zack, das ist so eine Sache. Wenn deine Schwester tatsächlich bei ihm sein sollte … Ich glaube, dann ist es besser, wenn du mit der Polizei sprichst.«
»Die Polizei?«, echote Sam.
»Oder mit deinem Onkel. Der ist doch Polizist, oder?«
»Ja.«
»Ich würde ja selbst mit ihm reden, aber …« Ben griff nach dem Stock, mit dem er die Farbe angerührt hatte, und zeigte mit ihm in Richtung der Kinder. »Ich habe Aufsichtspflicht, ich kann hier im Augenblick nicht weg. Also solltest du mit deinem Onkel reden.«
»Ja«, entgegnete Sam, wieder beruhigt und zugleich ein bisschen stolz, weil der Betreuer ihm diese Aufgabe anvertraute.
Ben nannte ihm Zacks Adresse in Brudow und sagte: »Und jetzt mach dich rasch auf zu deinem Onkel.«
Alex zog die mit Graffiti übersäte Clubtür auf. Ein Junge kam herausgestürmt und prallte mit ihm zusammen. Der Kleine gab einen Schmerzenslaut von sich.
»Alles in Ordnung?«, fragte Alex.
Der Junge rannte weiter, blieb jedoch wie eingefroren stehen, als er Gizmo entdeckte.
»Der ist harmlos«, sagte Alex.
Er rief Gizmo zu sich und hielt ihn am Halsband fest. Langsam setzte der Kleine einen Fuß vor den anderen. Erst als er ein paar Meter entfernt war, legte er wieder an Tempo zu.
Kopfschüttelnd betrat Alex das Gebäude und ging durch den Korridor. Je weiter er in den hinteren Teil des Gebäudes gelangte, desto stärker wurde der Geruch nach frischer Farbe. Aus einem der hinteren Räume drang ausgelassenes Lachen. Er sah Kinder, die die Tapete bemalten.
Ben stand in der Zimmermitte und rührte Farbe an. Seine Miene hellte sich auf, als er Alex erblickte. »Hey, Leute, jetzt kommt richtige Hilfe.«
»Eigentlich bin ich gekommen, um euch um Hilfe zu bitten.«
»Du? Wo?«
»In meinem Garten.« Alex’ Blick fiel wieder auf die Kinder. »Der muss aufgeräumt werden.«
Die Mädchen und Jungen murrten: »Gartenarbeit? Ach nee! Igitt! Öde! Lassen Sie mal gut sein.« Doch keines der Kinder guckte rasch weg oder verriet sich durch eine andere auffällige Geste.
»Ben, kann ich dich kurz sprechen?«, bat Alex.
»Was gibt’s?«
Alex trat hinaus in den Flur und öffnete die Hand. »Hast du die schon mal gesehen?«
Ben beäugte die Kette mit dem Anhänger. »Wem gehört sie?«
»Das frage ich dich.«
»Woher soll ich wissen, was die Kids für einen Schmuck tragen?«
»Ich dachte.«
»Lass mich raten: Du hast die Kette bei dir im Garten gefunden, und jetzt glaubst du, eines der Kids hier … Hm, nein, ich kann mich nicht erinnern, sie schon mal gesehen zu haben.«
»Wäre auch zu schön gewesen …«
»Aber ich kann mich mal umhören, ob irgendjemand seine Kette vermisst.« Ben lehnte sich gegen die gestapelten Kartons. Alex hielt seinem Freund den Schmuck hin. Ben rieb sich die farbverschmierten Finger an seiner Cargohose sauber. Als er nach dem Anhänger greifen wollte, zog Alex seine Hand zurück und betrachtete das Chaos im Flur. »Vielleicht sollte ich sie vorerst besser behalten.«
»Ja, vermutlich hast du recht. Hier geht sie im Augenblick wohl eher verloren.« Ben fuhr mit der Fingerspitze über ein Regal und pustete Staub in die Luft. »Aber ich hör’ mich um, versprochen.«
»Danke.« Alex wandte sich zum Ausgang. Als er sich noch einmal umdrehte, war Ben verschwunden.
»Ben?«, rief Alex.
Es dauerte einige Sekunden, bis sein Freund wieder im Flur erschien. »Was ist?«
»Das war gerade der kleine Theis, der rausgestürmt ist, oder?«
»Ja, Sam. Warum fragst du?«
»Gibt es schon was Neues von seiner Schwester?«
»Nein, nichts Neues.«
Alex stieß die Tür auf.
Ben kam zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich dachte, es ist vorbei.«
»Wie bitte?«
Ben lächelte. »Nicht jedes Mädchen, das verschwindet, ist …«
»Das hat, verdammt noch mal, niemand behauptet!«
»Aber du hast es gedacht. Schon gestern.«
»Blödsinn!«
Ben schwieg, doch sein Blick sagte genug. Dann deutete er zur Tür. »Ich glaube, Paul verlangt nach dir.«
Durch die verschmierte Glasscheibe konnte Alex quer über den Dorfplatz blicken. Paul stand vor der Elster und schwenkte die Arme. Gizmo war aufgesprungen und kläffte. Alex trat ins Freie. Der Himmel war mittlerweile fleckig vor Wolken. Ein Windstoß trieb raschelndes Laub über das Straßenpflaster. Von den Feldern wehte der strenge Duft von Gülle ins Dorf. Irgendwo schrie ein Baby.
»Alex!«, rief Paul. Zwei alte
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