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Die Maenner vom Meer - Roman

Titel: Die Maenner vom Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Hansen
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hatte. In der Stadt gab es zu jener Zeit noch eine Sklavin, die von sich behauptete, die einzige Tochter des Kalifen von Cordoba zu sein. Da sie aber bei weitem nicht so schön war wie Nanna, beließ diese es dabei, sie dem Gespött der Leute preiszugeben.
    Lange Zeit konnte sich Björn nicht erklären, weshalb Swain ihn gekauft hatte. Der Kammacher gab ihm wenig zu tun, er duldete es, daß Björn neben ihm stand und ihm bei der Arbeit zuschaute. Jeden Abend mußte Björn die Knochenstücke auflesen, die unter die Werkbank gefallen waren. Swain war sehr darauf bedacht, daß kein Splitter verlorenging, aus dem sich noch etwas herstellen ließ. Und Björn fand schnell heraus, welche Stücke es wert waren, aufgehoben zu werden, und welche er unbedenklich in die Grube hinter dem Haus werfen konnte.
    »Du hast einen guten Blick«, sagte Swain eines Tages und gab ihm ein daumendickes Stück von einem Hirschgeweih, das er soeben zersägt hatte. »Was siehst du darin?«
    »Eine Haarnadel mit dem Kopf eines Raben«, antwortete Björn ohne Zögern.
    »Schnitz sie«, sagte Swain.
    Drei Wochen brauchte er, bis er Swain die Nadel zu zeigen wagte. Swain betrachtete sie lange, indem er sie dicht vor seine Augen hielt und langsam hin und her drehte. Dann nickte er wie jemand, der eine Vermutung bestätigt sieht.
    »Noch willst du mehr, als du kannst«, sagte er schließlich. »Aber ich sehe kommen, daß eines Tages darüber gestritten wird, welcher von uns beiden der bessere Kammacher ist.« Er gab Björn die Nadel zurück und fuhr fort: »In meinem Handwerk ist es Brauch, daß man seine erste Arbeit nicht zu Geld macht. Schenke sie Nanna, sie wird es dir auf ihre Weise danken.«
    Fortan schmückte die Nadel mit dem Rabenkopf Nannas blauschwarzes Haar, und ihr Dank bestand darin, daß sie Björn in der Kunst der Liebe unterwies. Auch hierin zeigte er sich gelehrig,doch Nanna meinte, es bestünde wenig Hoffnung, daß er es zu jener Meisterschaft bringen werde, die Swain ihm für das Kammmacherhandwerk vorausgesagt hatte.

6
    SOMMERLICHE HITZE LIEGT über der Stadt; kein Windhauch schwemmt den Gestank aus den Gassen, stört den Tanz der Mücken. Auf den Bohlenwegen drängen sich fremdländisch gekleidete Menschen. Björn taucht in den Menschenstrom ein, er treibt ihn zum Hafen hinunter, wo zahllose Masten in der sanften Dünung schwanken, wo Händler einander an Stimmkraft zu überbieten suchen, wo Hunderte von Sklaven, halbnackt und in Lumpen gehüllt die einen, prächtig herausgeputzt die anderen, zum Kauf angeboten werden. Zwischen ihnen drängen sich Lastträger hindurch, die, von Aufsehern mit Peitschen zur Eile angetrieben, jeden beiseitestoßen, der ihnen den Weg versperrt. Und schon reißt der Menschenstrom Björn weiter mit sich fort, vorbei an den Speichern und Werften, an den Werkstätten der Reepschläger, Schmiede und Steinmetzen, vorbei am Hurenhaus und die Straße hinauf, die am Bach entlang zum Haus des Königs führt. Dort staut sich der Strom. Björn, zwischen zwei nach Tran riechenden Seeleuten eingekeilt, hört den einen sagen, Bue der Dicke sei gekommen, der Vertraute und Ratgeber des Königs. Ein mächtiger Mann, sagt der andere, und es geschehe nicht oft, daß man ihn zu Gesicht bekäme.
    Björn ging nun jeden Tag zum Haus des Königs, um Bue den Dicken zu sehen. Und stets war der Platz vor dem Haus mit Menschen gefüllt, die aus dem gleichen Grund gekommen waren. Einige sagten, Bue sei noch mächtiger als der König, nur sei er vielzu klug, es diesen merken zu lassen. Eine zahnlose Hure mit rot ummalten Augen, die vorgab, einst Bues Geliebte gewesen zu sein, meinte, an Klugheit mangle es Bue gewiß nicht, wohl aber an Mut; deshalb habe der König nichts von ihm zu befürchten.
    Nachdem Björn mehrere Tage vergeblich vor dem Haus des Königs gewartet hatte, kam Bue der Dicke in Swains Werkstatt. Er machte seinem Beinamen alle Ehre, denn er war ein Mann von erstaunlichem Leibesumfang. Auf dem riesigen Körper saß, ohne zwischen sich und dem Rumpf einen Hals zu dulden, ein massiger Kopf, der mit rötlichem, hier und dort schon ergrautem und leicht gekräuseltem Haar bedeckt war. Auch seine Nase entsprach in ihren Ausmaßen denen seines Körpers; nur zweierlei stand in auffallendem Gegensatz zu seiner üppigen Leibesfülle: Seine Augen waren so winzig, daß man sie kaum hinter den wülstigen Lidern erkennen konnte, und wer ihn zum ersten Mal reden hörte, blickte sich unwillkürlich nach einem anderen um, weil

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