Die Maenner vom Meer - Roman
Bues gewaltige Brust nichts weniger als eine Fistelstimme erwarten ließ.
Swain erschrak, als Bue der Dicke, den Raum verdunkelnd, seine Werkstatt betrat. Bue kam mit großem Gefolge, unter dem sich auch der Wikgraf, einer der Söhne des Königs von Jorvik, befand. Diesem erlaubte es Bue als einzigem, ihn in Swains Werkstatt zu begleiten, während er den übrigen das Haus zu umstellen befahl. Denn Bue war ein vorsichtiger Mann.
Der Kammacher blickte sich nach einer Sitzgelegenheit um, die er Bue anbieten konnte. Aber er sah keine, von der anzunehmen war, daß sie dem Gewicht des königlichen Ratgebers standhalten würde. Deshalb zog er es vor, ihm seine Ehrerbietung dadurch zu erweisen, daß er sich erhob und mit gesenktem Kopf darauf wartete, daß Bue ihn ansprach.
»Dein Ruhm ist gewachsen, seitdem wir uns das letzte Mal begegneten«, sagte Bue leise, denn nur so gelang es ihm, seiner Stimme einen etwas tieferen Klang zu verleihen. »Wie ich höre, trägt sogar die Frau des Sachsenkaisers deine Haarnadeln.«
»Bischof Horath gefiel es, ihr einige meiner Arbeiten zu schenken«, erwiderte Swain bescheiden.
Bue nahm einen Kamm von der Werkbank, an dem Swain gerade schnitzte, und betrachtete ihn, während er fortfuhr: »Ich hoffe, daß dich der Bischof, obwohl es ihm neuerdings die Armut zu preisen beliebt, gut dafür bezahlt.«
»Bislang habe ich keinen Grund gehabt, mich zu beklagen«, antwortete Swain.
»Laß mir etwas zu trinken bringen«, sagte Bue, ein Wunsch, der von seinen Gastgebern als Gunstbeweis verstanden werden durfte.
Nanna brachte ein mit Bier gefülltes Trinkhorn und reichte es Bue. Sie hatte sich gekämmt und trug ein langes weißes Gewand, das sie, wie Björn aus Swains Stirnrunzeln schloß, der Kleidertruhe seiner Frau entnommen hatte. Es unterstrich den südländischen Reiz ihres schwarzen Haares und ihrer braunen Haut, und Björn spürte, wie sich Eifersucht in ihm regte, als er erkannte, daß sie Bue gefallen wollte.
Bue der Dicke gab das Trinkhorn an den Wikgrafen weiter und ließ diesen kosten. Dann wandte er sich Nanna zu, die, wie es sich einem hochgestellten Herrn gegenüber ziemte, mit niedergeschlagenen Augen vor ihm stand, und hob mit seiner fleischigen Hand ihr Kinn empor.
»Mir scheint, du bist ein vom Glück begünstigter Mann, Swain«, sagte Bue, während er in Nannas Augen blickte. »Aber nur ein Dummkopf verläßt sich darauf, daß sein Glück ewig währt, wohingegen der Kluge beizeiten Vorsorge trifft, daß es sich nicht zu bald von ihm abwende.«
»Deine Worte wollen gründlich bedacht sein, zumal sie aus dem Mund eines Mannes kommen, auf dessen Rat sogar der König hört«, sagte Swain.
»Du redest vernünftiger, als ich erwartet habe«, entgegnete Bue wohlwollend. Dann nahm er das Trinkhorn, und nachdem er den Wikgrafen gründlich gemustert, an ihm jedoch keine Anzeichen von Unwohlsein ausgemacht hatte, trank er es in einem Zuge leer.
Mit der Hand, die eben noch Nannas Kinn gehalten hatte, wischte Bue sich den Schaum vom Mund und fuhr fort: »Um sich das Glück zu erhalten, ist es ratsam, die Freundschaft einflußreicher Männer zu suchen. Wo mehrere mächtig sind, gebietet es die Klugheit, zu dem zu halten, der die größere Macht besitzt, und sich von jenem loszusagen, der weniger mächtig ist. Aber es mit letzterem zu halten, wäre immer noch eine kleinere Torheit als die, mit beiden gut Freund sein zu wollen, denn ein halber Freund ist gefährlicher als ein ganzer Feind.«
Während er dies sagte, tastete Bue mit beiden Händen Nannas Schultern ab, ihre Brüste, ihre Hüften. Nanna bot ihm ihren Körper bereitwillig dar; als Bue ihren Schoß berührte, schloß sie seufzend die Augen. Björn fühlte plötzlich, daß seine Hand den Knauf eines Schnitzmessers umklammert hielt.
»Gib auf den Kleinen acht, Ragnar«, sagte Bue, dessen Augen offenbar nichts entging. »Ihm scheint nicht zu gefallen, was ich tue.«
Der Wikgraf sprang hinter Bue hervor und schlug Björn mit einem wuchtigen Fausthieb das Messer aus der Hand, so daß es davonschnellte und Bues Kopf nur um Haaresbreite verfehlte.
Bue zuckte zusammen. »Da siehst du«, sagte er zu Swain mit einer Stimme, die um einiges schriller klang, »wie sehr auch der Mächtige des Glückes bedarf. Dies hätte mein Tod sein oder mich ein Auge kosten können, wobei ich zugunsten deines Gehilfen annehmen will, daß er das Messer nicht absichtlich nach mir warf. Sonst müßte ich ihn bei lebendigem Leibe häuten
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