Die Maetresse des Kaisers
wenn er ihm am Tag des Jüngsten Gerichts gegenübertreten musste.
Heinrich drängelte sich langsam weiter nach vorn, ohne etwas von seiner Deckung aufzugeben. In der Kirche war es dämmrig, es brannten weniger Kerzen als sonst. Die Kirche war in voller Absicht nicht so festlich geschmückt, wie es dem Anlass angemessen gewesen wäre, denn aus Protest gegen den Friedensvertrag des Kaisers fehlten der Patriarch von Jerusalem und die obersten Würdenträger der Kirche.
Heinrichs Augen suchten den Kaiser, doch der Platz, den man für den Herrscher vorgesehen hatte, war leer. Trotzdem war der Deutsche davon überzeugt, dass der Kaiser sich einen Auftritt in der Kirche des Heiligen Grabes nicht nehmen lassen würde. Er hielt ihn für viel zu eitel und selbstgefällig, um die Gelegenheit zur großen Pose ungenutzt verstreichen zu lassen. Deshalb tendierte er wie viele andere zu der Ansicht, dass Friedrich früher oder später die Kirche betreten würde.
Je weiter er sich nach vorn arbeitete, desto dichter wurde das Gedränge. Dutzende von Rittern des Deutschen Ordens versperrten ihm den Weg, und er hielt es für klüger, in seiner braunen Kutte im Hintergrund zu bleiben.
Die Messe war beendet, doch niemand stand auf und verließ die Kirche. Und obwohl sich so viele Menschen in dem Gotteshaus versammelt hatten, war es doch totenstill. Plötzlich ging ein Raunen durch den hinteren Teil, Männer reckten die Hälse, um besser sehen zu können, und auch Heinrich von Passau bemühte sich, das Geschehen am Eingang zu erkennen.
Also doch, dachte er, als er Friedrichs rötlichen Haarschopf entdeckte. Ich wusste, dass er kommt.
Der Kaiser schritt mit mehreren Bischöfen aus seinem Gefolge durch den Mittelgang in Richtung Altar. Die Menge verfolgte atemlos den feierlichen Einzug in die Grabeskirche, sah zu, wie der Kaiser dem Altar näher und näher kam und kurz davor stehenblieb. Aus den Reihen des kaiserlichen Gefolges trat ein Mann, der ein rotes Seidenkissen in den Händen hielt. Auf dem Kissen lag eine Krone.
Heinrich von Passau beobachtete die Szene mit demselben faszinierten Schweigen wie alle anderen. Wenn ihm bislang nicht klar gewesen war, was Friedrich mit seinem Besuch in der Grabeskirche beabsichtigte, dann hatte er den Plan des Kaisers spätestens beim Anblick der Krone durchschaut. Sieh an, sieh an, dachte er, er will sich zum König von Jerusalem krönen lassen. Fragt sich nur, vom wem? Er sah sich um, konnte aber niemanden von Jerusalems Geistlichkeit entdecken, der diese Zeremonie leiten würde.
Doch während Heinrich noch grübelte, schritt Friedrich mit festen Schritten zum Hauptaltar, ergriff die Krone und setzte sie sich wortlos auf den Kopf. Danach ging er hoch erhobenen Hauptes zu seinem Thronsessel und nahm lächelnd Platz.
Es kam nicht oft vor, dass Heinrich von Passau die Worte fehlten. Aber sogar er, der sich selbst für einen abgebrühten Ränkeschmied hielt, hatte mit diesem Schachzug des Kaisers nicht gerechnet. Er hat sich die Krone selbst aufgesetzt, dachte er und war begeistert, denn so viel Charisma verdiente auch von einem erklärten Feind Bewunderung.
Um ihn herum zeigten die Gesichter der Männer und Frauen eine Mischung aus Überraschung, Schrecken, Faszination und Entrückung. Einige flüsterten, aber die meisten schwiegen voller Ehrfurcht vor diesem Mann, der den Mut bewies, sich das, was er wollte, einfach zu nehmen.
Heinrich sah, dass der Kaiser immer noch lächelte und dann die Hand hob, um zu zeigen, dass er zu der Menge sprechen wollte. Er war viel zu aufgeregt, um sich auf die Eingangsworte des Kaisers konzentrieren zu können, doch dann drangen dessen Sätze, in denen er von seinem Willen zum Kreuzzug sprach und den immer neuen Verzögerungen, zu ihm. Erstaunt hörte Heinrich, dass der Kaiser für alle Hindernisse auf dem Weg ins Heilige Land die Schuld auf sich nahm.
Was hatte Friedrich so versöhnlich gestimmt, fragte sich der Deutsche, der ihn nur als harten und starrsinnigen Herrscher kennengelernt hatte. Heinrich von Passau hatte das Gefühl, vor ihm und all diesen Menschen stand ein neuer Mann, ein geläuterter Kaiser, der sich darauf einließ, fast demütig mit seinen Untertanen zu sprechen.
Soweit Heinrich wusste, war dies einer der wenigen Anlässe, bei denen Friedrich selbst zu den Menschen sprach. Er hatte es schon häufig erlebt, dass der Kaiser mehr oder weniger missmutig auf seinem Thron saß und einen seiner Stellvertreter eine vorgefertigte Rede verlesen
Weitere Kostenlose Bücher