Die Maetresse des Kaisers
Momenten unberechenbar war. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie dieser in haltlosem Zorn einen seiner Knappen erschlagen hatte – wegen einer kleinen Unachtsamkeit, einer lässlichen Sünde, die ein anderer Mann großzügig vergeben hätte. Er hatte die Tat nicht gebilligt, aber er hatte dem Knappen auch nicht geholfen, sondern zugesehen, wie Enzio seine Wut auslebte – mit tödlichem Ausgang für einen Jungen, dessen angebliches Verbrechen darin bestand, das Schwert seines Ritters nicht zu dessen Zufriedenheit gepflegt zu haben.
Nicht nur aus diesem Grund zog es Manfred vor zu schweigen. Er wusste nicht, was er seinem einstigen Freund sagen sollte. Vor ihm saß ein jetzt tödlicher Feind. Bianca hatte auch in dieser Hinsicht ganze Arbeit geleistet.
Einer von Enzios Getreuen, Umberto von Celana, trat jetzt vor und näherte sich dem Grafen Pucci.
»Seid unbesorgt, Enzio, wir werden das Weibsstück finden. Heinrich von Passau ist ihr auf den Fersen, und Ihr wisst, dass er seiner Beute folgt wie ein gieriges Raubtier. Er ist ein geschickter Jäger. Sie wird ihm in die Falle gehen.«
Enzio warf ihm einen düsteren Blick zu. »Ich weiß, dass er sie finden wird«, zischte er. »Hältst du mich für einen Trottel? Hüte deine Zunge, sonst könnte sie dir jemand abschneiden.«
Umberto, ein kleiner, unschöner Mann mit einem messerscharfen Verstand, ließ sich nicht beeindrucken.
»Vergeudet Eure Kräfte nicht in sinnloser Wut, Enzio. Der Medicus sagt, noch ein paar Wochen, und Ihr werdet wieder reiten können. Eure Stärke, die Euch auf dem Turnierplatz unbesiegbar machte, wird zurückkommen. Berauscht Euch an Eurer Rache, aber nicht zu früh. Wartet, bis Ihr sie genießen könnt. Und dann trinkt sie in vollen Zügen.«
»Möglich, dass du recht hast«, knurrte Enzio. Er grinste Umberto an. »Du bist doch immer noch der Klügste von uns allen. Also dann, lasst uns trinken. He, bringt mir einen neuen Becher.«
Manfred spürte, wie sich die gespannte Stimmung im Saal veränderte. Die Spielleute griffen nach ihren am Boden liegenden Instrumenten, die Diener brachten neue dampfende Stücke von Ochsenlenden und Wildschweinschenkeln, die nach würzigen Kräutern rochen. Plötzlich schien jeder mit jedem zu sprechen, sogar ein kleines Lachen war zu hören.
»Dem Himmel sei Dank«, flüsterte Manfred unhörbar und merkte, dass er die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte. Erleichtert atmete er aus.
»Meine Freunde«, rief Enzio jetzt weinselig, »kommt und setzt euch zu mir. Dies ist mein letzter Abend auf dieser mörderischen Burg. Was meinst du, Umberto, wollen wir sie schleifen lassen?«
»Keine schlechte Idee, aber ich fürchte, sie fällt vorher von allein zusammen.«
Enzio brüllte vor Lachen. »Ich weiß, warum ich deine Gegenwart so schätze. Es ist deine Scharfsinnigkeit, die dich einzigartig macht. Mein lieber Manfred, Umberto hat wie immer recht. Das Gemäuer deiner Vorfahren hat es nicht verdient, dass meine Leute ihre Zeit mit ihm verschwenden.«
Manfreds Gesicht blieb unbewegt. Er hatte Enzios Zorn gefürchtet, aber mit so viel Hass hatte er nicht gerechnet. Nicht nur Bianca war verloren, sondern auch er und alle Mitglieder seines Haushalts. Ein Graf Lancia war klug genug, Enzios Andeutungen ernst zu nehmen. Die Warnung war deutlich. Er war hier nicht mehr sicher, und auf seine ehemaligen Freunde und Kampfgefährten konnte er nicht mehr bauen. Ab sofort war er auf sich allein gestellt.
Manfred betrachtete die Gruppe von vornehmen Männern, die sich mit seinem Wein besoff und ihn dennoch beleidigte und bedrohte. Er schmeckte die Bitterkeit, als hätte er an einem Kräutertrank des Medicus genippt. Enzio würde ihn umbringen, und alle anderen würden zusehen. Und niemand würde Enzio dafür zur Rechenschaft ziehen.
Dank des schweren erdigen Weins mit seinem unvergleichlichen Duft nach Holz und Kirschen herrschte eine lärmende Fröhlichkeit im Saal, und einige Männer begannen nach den Dienstmägden zu rufen. Die Frauen wussten, was ihnen bevorstand, dies war schließlich nicht die erste Zusammenkunft betrunkener Ritter auf dieser Burg. Ihr Dienstherr, Graf Lancia, erwartete von ihnen, dass sie den Männern zu Gefallen sein würden. So war es schon immer gewesen.
Manfred beachtete die Männer um Enzio Pucci nicht weiter, seine Gedanken rasten. Wenn er seine Heimat verlassen musste, wohin konnte er gehen? Dahin, wo sich alle Ritter trafen, deren Burgen verschuldet oder zerstört waren – an
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