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Die Maetresse des Kaisers

Die Maetresse des Kaisers

Titel: Die Maetresse des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Stein
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bestickt mit dem Familienwappen, ein steigendes Pferd, das von zwei jagenden Falken flankiert wurde, um seine Schultern gelegt.
    Sein leicht muffiger Geruch stand in seltsamem Gegensatz zu seiner reichen Ausstattung. Der Saum des Umhangs war mit goldenen Stichen eingefasst, und am Halsausschnitt waren prachtvolle Sterne eingearbeitet. Den Umhang hatte sein Großvater anfertigen lassen, dessen dichterische Phantasie dem Schneider und den Stickerinnen entsprechende Anweisungen gegeben hatte. Manfred fand das kostbare Stück übertrieben, fast weibisch, und er trug den Umhang nur ungern. Aber der Anlass des heutigen Abends war so außergewöhnlich, dass er das kostbare Familienerbstück nicht in der reich verzierten wuchtigen Zederntruhe ruhen lassen konnte – sosehr er sich das auch gewünscht hätte.
    Unwillig schlug Manfred die Seiten des Umhangs zurück, in der Hoffnung auf etwas Kühlung. Er war kein feiger Mann. Auf der Jagd und im Kampf konnte er sich jedem Gegner stellen. Er hatte Wölfe mit dem Speer erlegt und Ritter mit dem Schwert getötet. Seine Beine und Arme waren mit Muskeln bepackt, und auch wenn er körperlich nicht so groß gewachsen war wie Enzio, hatte er diesen doch mehrfach im Turnier besiegt.
    Die vage Männerfreundschaft, die aus gemeinsamen Turnierkämpfen, Wolfsjagden und orgiastischen Gelagen erwachsen war, hatte Manfred von mehr träumen lassen. Ehrgeizige Pläne hatte er gemacht – Enzio sollte sein Schwager werden. Dass er dabei seine Schwester einem Mann opferte, für den eine Frau nicht mehr wert war als eine Kuh, war zwar Pech für Bianca, durfte ihn aber nicht daran hindern, den Einfluss und das Vermögen der Familie Lancia zu mehren, zumal es um die Familienfinanzen nicht zum Besten stand.
    Seit Wochen zerbrach er sich nun den Kopf über einen neuen Plan. Dass Bianca ihre Flucht überleben würde, glaubte er nicht mehr. Enzios Späher hatten sich längst auf ihre Spur gesetzt, und Heinrich von Passau würde sich skrupellos jedes Mittels bedienen, um sein Ziel zu erreichen. Wenn Bianca nicht ohnehin mordlustigen Wegelagerern oder ausgehungerten Söldnern in die Hände gefallen und tot oder in Gefangenschaft war – gegen Heinrich von Passau hatte sie keine Chance. Er würde sie jagen und hetzen, so wie ein Falke seine Beute verfolgt, leise, aber tödlich. Manfred hatte sich innerlich längst von seiner Schwester verabschiedet.
    Ja, in den ersten Tagen nach ihrem Verschwinden hatte er ihr den Tod regelrecht gewünscht. Es gab keine Worte mehr, mit denen er seine Schwester noch verfluchen konnte. Er hatte sie mit allen Schandnamen, die ihm einfielen, belegt. Aber mittlerweile war er ruhiger geworden, und obwohl er sich dagegen wehrte, spürte er dann und wann einen kleinen schmerzhaften Stich in seinem Inneren, wenn er an Bianca dachte. Er achtete sorgsam darauf, dass dies nicht allzu oft vorkam, aber wenn er ehrlich war, vermisste er seine rebellische Schwester. Jedenfalls ein bisschen. Bedauerte er das, was passiert war? Vielleicht, aber Schuld an der ganzen Tragödie gab er sich nicht.
    »Schuld an allem ist Bianca«, murmelte er.
    Die Dämmerung nahm zu, und Manfred machte sich auf den Weg zum großen Rittersaal, in dem Enzios Genesung und sein Abschied von der Burg Lancia gefeiert werden sollte. Es war das erste Fest seit der Unglücksnacht im Juli, Manfred hatte sogar Spielleute kommen lassen, um Enzio bei Laune zu halten.
    Aus dem Saal drang das Stimmen der Lauten, Manfred konnte es deutlich hören, als er näher kam. Wie anders dieser Abend ist, dachte er. Die Freundschaft zwischen ihm und Enzio war einem gefährlichen Misstrauen gewichen, und zumindest Enzio gab sich nicht einmal mehr die Mühe, die einfachsten Regeln der Höflichkeit einzuhalten. Manfreds Versuche, mit seinem einstigen Freund über alte Zeiten zu reden, scheiterten an Enzios Schweigsamkeit. Die Stille zwischen ihnen hatte etwas Bösartiges, Lauerndes.
    Manfred fühlte sich wie ein Jäger, der noch nicht weiß, dass sich der Wolf, den er erlegen will, langsam von hinten an ihn heranschleicht, und während der Jäger wachsam das Unterholz nach den gelben Augen des Raubtiers absucht, setzt dieses von ihm unbemerkt schon zum Sprung an. Seine Tapferkeit war mürbe geworden in den Wochen, in denen Enzio schwerverletzt und im Fieberwahn in einer Kammer der Burg um sein Leben kämpfte. Enzio würde Rache wollen – und sie letztlich bekommen. Auch den Lauten, davon war Manfred überzeugt, würde es nicht

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