Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
Anstalt für psychisch gestörte Kriminelle zum Zwangsaufenthalt geschickt hatte. Er konnte sich in dem Dorf frei bewegen, durfte aber das Gemeindegebiet nicht verlassen. Er erzählte mir von seiner Initiation in die Mafia. Sein Onkel Giovanbattista Vitale, genannt »Titta«, ein Mafioso des Viertels Altarello di Baida, hatte keine Kinder und wollte unbedingt, dass sein Neffe zum Ehrenmann wird. Um seine Eignung als Mafioso auf die Probe zu stellen, hatte er ihn eines Tages mit aufs Land genommen, ihm ein Gewehr in die Hand gedrückt und ihn aufgefordert, ein weißes Fohlen zu erschießen. Ein paar Wochen später hatte der Onkel ihm dasselbe Gewehr ausgehändigt mit dem Auftrag, in der Via Tasca Lanza in Palermo einen Mann zu erschießen. Leuccio war erst siebzehn, als er seinen ersten Mord beging.
1973 stellte sich Leonardo Vitale in Palermo der Polizei und beschloss auszusagen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Er hatte das gewalttätige Leben nicht mehr ausgehalten und empfand echte Reue. Er beschuldigte zweiundvierzig Mafiosi. Als Erster berichtete er von der Gefährlichkeit und der Macht Totò Riinas innerhalb der Cosa Nostra – das war im Jahr 1973, als der Boss von Corleone in Palermo noch nahezu unbekannt war. Seine Aussagen wurden der Staatsanwaltschaft übergeben. DieRichter kamen zu dem Schluss, er sei verrückt, ließen seine Aussagen in einer Schublade verschwinden und schickten ihn in die psychiatrische Anstalt von Barcellona Pozzo di Gotto.
Nach vier Jahren wurde Leuccio entlassen und in den Zwangsaufenthalt geschickt. Bei seiner Rückkehr nach Palermo 1984 wurde er ermordet. Die Richter hatten seine zehn Jahre zuvor gemachten Aussagen ignoriert, Totò Riina nicht.
Das Leben hat es nicht gut gemeint mit mir, und das Böse hat mich schon als Kind erwischt. Dann kam die Mafia mit ihren falschen Gesetzen und ihren falschen Idealen: Diebe bekämpfen, den Schwachen helfen, aber gleichzeitig morden. Verrückt! Die Beati Paoli [vgl. Kap. 88], Coriolano della Floresta [vgl. ebd.], die Freimaurer, das Giovane Italia [Junges Italien; Bewegung des 19. Jahrhunderts zur Einigung Italiens], die neapolitanische und die kalabrische Camorra. Man muss Mafioso sein, um Erfolg zu haben. Das hat man mir beigebracht, und ich habe gehorcht. Meine Schuld ist es, dass ich geboren wurde, dass ich in einer Gesellschaft gelebt habe, in der alle Mafiosi sind und deshalb geachtet werden, die dagegen, die es nicht sind, verachtet werden. Geistesschwäche = seelisches Übel; Mafia = soziales Übel; politische Mafia = soziales Übel; korrupte Behörden = soziales Übel. Das sind die Übel, denen ich zum Opfer gefallen bin, ich, Leonardo Vitale, der ich im Glauben an den wahren Gott wiederauferstanden bin.
Aus der dreizehnseitigen Aussage, die Leonardo Vitale am
30. März 1973 vor der Polizei in Palermo zu Protokoll gab
59. Was ist ein Mafiaaussteiger?
Pentiti
, das sind jene Mafiosi, die die
omertà
, die Mauer des Schweigens, durchbrochen haben. Ohne sie wäre nie eine Bresche in diese kriminelle Organisation geschlagen worden. Für die Cosa Nostra waren sie Gift.
Mafiosi, die sich der Justiz als Kronzeugen zur Verfügung stellen, waren aber nie sonderlich beliebt. Angefangen mit Tommaso Buscetta, zog man vor allem dann gegen sie zu Felde, wenn sie sich nicht darauf beschränkten, andere Mafiosi zu beschuldigenoder grausame Verbrechen zu gestehen, sondern über Politik redeten. Solche Enthüllungen in einem Ermittlungsverfahren oder einem Prozess werden sofort zu einer »Staatsaffäre«. In Italien gab es schon immer Leute, die vor den Mafia-Kronzeugen eine Heidenangst hatten.
Eine andere Frage ist die Art und Weise des Umgangs mit ihnen, die Überprüfung und Verwendung ihrer Aussagen. In den letzten zwanzig Jahren gab es Staatsanwälte, die mit aussagewilligen Mafiosi vorbildlich umgingen, andere in skandalöser Weise. Das Problem ist nicht der Kronzeuge; das Problem ist, wie man seine Aussagen benutzt. Das größte Problem aber sind diejenigen, die keinen Kronzeugen wollen.
Kein
pentito
gleicht dem anderen. Die einen reden aus Rache, andere aus Kalkül, wieder andere aufgrund eines inneren Leidensdrucks, aber das sind nur wenige. Es gibt solche, die die Wahrheit sagen (häufig aber nicht die volle), solche, die lügen, und solche, die es bereuen, bereut zu haben. Es gibt auch »Bauchredner« unter ihnen, und das sind die gefährlichsten, denn sie sprechen im Namen anderer und wollen die Ermittler gezielt in
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