Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
inständig, sie zu kennen. Bei Ignazio Salvo soll das berühmte Treffen stattgefunden haben, bei dem Totò Riina und Giulio Andreotti den Bruderkuss tauschten. Davon hatte Riinas Chauffeur Balduccio Di Maggio berichtet. Ob es diesen Kuss wirklich gab, werden wir nie erfahren. Der palermitanische Schauspieler Ciccio Ingrassia, ein hervorragender Kenner der sizilianischen Mentalität, meinte dazu: »Ich weiß nicht, ob sich Andreotti und Riina geküsst haben, aber wenn sie sich getroffen haben, haben sie sich auch geküsst.«
Nino Salvo starb 1986 in einer Schweizer Klinik an Krebs, Ignazio Salvo wurde im September 1992 von den Corleonesern getötet. Totò Riina zufolge hatte er nicht genug getan, um die Cosa Nostra vor Falcones Maxi-Prozess zu bewahren.
68. Steht die Mafia politisch rechts oder links?
Die Mafia kennt keine Ideologie, sie steht weder rechts noch links. Sie stellt sich auf die Seite der Macht und hat sich in den Machtstrukturen eingenistet.
Für manche verfolgte die sizilianische Cosa Nostra seit jeher ein politisches Projekt, was sie von den anderen kriminellen Organisationen unterscheide und so gefährlich mache. Andere glauben, dass die Mafia – abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen – nie Politik gemacht hat, sondern stets nur eine Trittbrettfahrerin der Politik war. Sie habe sich immer auf die Seite der Sieger gestellt und ihr Mäntelchen nach dem Wind gehängt. Eine politisch nicht autonome Cosa Nostra also, die keine führende politische Rolle spielt, kein politisch handelndes Subjekt und schon gar keine Partei ist.
In jedem Fall pflegte die Mafia immer sehr enge Beziehungen zur Politik. Die Anziehungskraft zwischen Mafia und Politik war seit jeher stark.
Diese Beziehung hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt, beispielsweise wenn bestimmte Parteien ihr nicht mehr die alte Rückendeckung gewähren konnten. Auch der globale politische Wandel spielte eine Rolle: das Ende des Kalten Kriegs, als Italien seine strategisch wichtige weltpolitische Rolle als Bollwerk gegen den Kommunismus einbüßte und die Cosa Nostra als sizilianische geheime Gladio-Organisation zur Abwehr eines potenziellen kommunistischen Angriffs und als Garant der politischen und sozialen Ordnung auf der Insel nicht mehr gefragt war. Gladio war eine paramilitärische Geheimorganisation der westlichen Geheimdienste in West- und Südeuropa.
Die Politik ist unser Lebenselement wie das Wasser für die Fische. Die Parteien haben uns im Grunde nie interessiert. Uns interessierten die Dinge, die uns etwas einbrachten. Es stimmt, dass wir gegenüber den Linken und den Rechten immer argwöhnisch waren, sie waren ja unsere Erzfeinde, besonders die Kommunisten und die Faschisten. Aber nach dem Fall der Berliner Mauer vollzogen sich auf internationaler Ebene bedeutsame Veränderungen: Russland gibt es nicht mehr, Amerika hat nicht mehr dieses Feindbild vor Augen, und womöglich ist die Mafia für Amerika deshalb nicht mehr interessant, weil die Kommunisten am Ende sind.
Der Mafiaaussteiger Antonino Giuffrè gegenüber
Staatsanwalt Pietro Grasso im November 2001
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Cosa Nostra kurzzeitig auf den Separatismus, auf ein von Italien unabhängiges Sizilien. Zum ersten Mal wurde die Mafia jetzt so etwas wie ein politisch handelndes Subjekt: Sie setzte sich für die
sicilianità
ein, die Eigenständigkeit Siziliens. Bosse wie Paolino Bontate, Giuseppe Genco Russo, Calogero Vizzini und Michele Navarra traten vorübergehend der Bewegung für die Unabhängigkeit Siziliens bei. An der Seite des Separatismus und der Mafia standen jetzt erneut die Adligen, die ihre Latifundien zu verteidigen suchten: die Grafen Tasca, die Herzöge von Carcaci,die Barone La Motta. Der erste Bürgermeister von Palermo nach der Landung der Alliierten auf Sizilien im September 1943 war einer von ihnen: Graf Lucio Tasca, Großgrundbesitzer und einer der Wortführer der separatistischen Bewegung.
Das Projekt »Sizilien den Sizilianern« war aber nur ein Strohfeuer, das schnell wieder erlosch. Danach unterstützten die Bosse sofort die rechten Bewegungen – von den Monarchisten bis zu den Liberalen – und stellten sich schließlich auf die Seite derer, die die tatsächliche Macht erobert hatten: der Democrazia Cristiana.
In den folgenden Jahren lockte zwar immer wieder die Idee einer Unabhängigkeit Siziliens, aber das Engagement fiel kaum ins Gewicht. Nach 1992 entschloss sich die corleonesische Mafia
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