Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
Entführungen, keine Spannungen. Es herrschte eine surreale Stille. Die Mafia kontrollierte das Territorium besser als die Polizei, dafür blieb sie von strafrechtlichen Ermittlungen verschont. Die Bosse »redeten« mit hohen Polizeibeamten und Beamten des Innenministeriums, man traf sich und tauschte Gefälligkeiten aus.
Symptomatisch ist die Geschichte von Bruno Contrada, dem ehemaligen Chef der Kripo von Palermo, der späteren Nummer drei des Inlandsgeheimdienstes SISDE (Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Democratica). Er wurde verurteilt, weil er erst die Bosse der alten Garde und später die Corleoneser gedeckt hatte. Oder der Fall von Oberst Giuseppe Russo, Chef des Einsatzkommandos der Carabinieri in Palermo, der Gaetano Badalamenti und den Vettern Salvo nahestand. Viele Jahre nach seiner Ermordung im August 1977 wurden die Kontakte aufgedeckt, die er zu einer bestimmten Mafiagruppe unterhalten hatte.
Contrada und Russo waren gewiss nicht die Einzigen. Es war ein System, das in jenen Jahren wie selbstverständlich funktionierte. Die Vettern Salvo und die Mafiafamilie Badalamenti stellten eine Macht dar, eine wirkliche Macht: nicht nur eine kriminelle, sondern auch eine politische Macht.
Als vor ein paar Monaten Giorgio Bocca im
Espresso
von einem»Pakt der Koexistenz« zwischen der Mafia und den Carabinieri in Sizilien schrieb, brach ein Sturm der Entrüstung über ihn herein. Alle, die Rechten wie die Linken, sprachen von infamen Vorwürfen. Bocca jedoch bezog sich lediglich auf das, was allen nicht mehr ganz jungen Sizilianern vertraut ist: ein Geflecht der Komplizenschaft, das stets offenkundig war. Er wollte ganz bestimmt nicht jene Tausende Carabinieri als Mitwisser beschuldigen, die in Sizilien treu ihren Dienst getan haben. Er wollte lediglich daran erinnern, dass in einem bestimmten Zeitraum in Sizilien hohe Führungskräfte der Carabinieri und einige »Antennen«, die die Carabinieri strategisch auf der Insel plaziert hatten, mit Mafiosi in Kontakt standen und ihnen Straffreiheit zusicherten. Dazu manipulierten sie die Ermittlungen, vertuschten Beweise und legten falsche Spuren.
75. Wurden falsche Spuren gelegt, um hochrangige Mafiosi zu schützen?
Am dreistesten waren die Manipulationen bei den Ermittlungen zum Mord an Peppino Impastato. Man behauptete, er habe Selbstmord begangen, man machte ihn zum Terroristen. In Wirklichkeit wurde er ermordet, auf Befehl der Bosse und vielleicht noch anderer Kräfte.
Peppino Impastato starb am 9. Mai 1978 an der Eisenbahnstrecke Trapani-Palermo. Er wurde von einer Bombe zerfetzt – am selben Tag, an dem in der Via Caetani in Rom die Leiche Aldo Moros gefunden wurde. Peppino war dreißig Jahre alt, er war der Sohn eines Mafioso aus Cinisi, kämpfte auf Seiten der extremen Linken und arbeitete bei dem unabhängigen Rundfunksender Radio Aut. Die Untersuchung seines Todes wurde vom ersten Augenblick an behindert – von den Carabinieri.
Der Sprengstoff, der bei dem mutmaßlichen Anschlag verwendet wurde, war Grubensprengstoff, doch in den Tagen nach Peppinos Tod führten die Carabinieri nicht einmal eine Durchsuchung der Steinbrüche im Umkreis von Cinisi durch, die alle im Besitz von Mafiosi waren. Im ersten Bericht wurde auchnicht der Stein erwähnt, der am Schauplatz des Verbrechens gefunden und mit dem Peppino Impastato vermutlich erschlagen worden war, bevor man seine Leiche auf die Bahngleise legte, um ihn als einen Terrorattentäter erscheinen zu lassen, der sich selbst in die Luft gesprengt hatte. In dem ersten Bericht der Carabinieri an die Staatsanwaltschaft Palermo hieß es zudem: »Auch wenn man von einem Verbrechen ausgehen wollte, wäre auf jeden Fall auszuschließen, dass Giuseppe Impastato von der Mafia getötet wurde.«
Die Mafia von Cinisi – das war der Boss Gaetano Badalamenti, den Peppino Impastato tagtäglich in Radio Aut angegriffen und als »Tano Seduto« (Sitting Bull Tano) lächerlich gemacht hatte. Badalamenti selbst pflegte enge Beziehungen zu einigen hohen Carabinieri-Offizieren. Er war der Boss, den es zu schützen galt. Und wahrscheinlich war Gaetano Badalamenti nicht der Einzige, der Peppino Impastatos Tod wollte.
Die Ermittlungen konzentrierten sich von Anfang an auf die Vorwürfe gegen das Opfer. Vielleicht war die falsche Fährte schon vor dem Mord gelegt worden, aber die Spurensuche wurde systematisch in eine falsche Richtung gelenkt – ein unverhältnismäßig hoher Aufwand, um einen einzigen Mafioso zu
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