Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
verurteilt. Der
Corvo
konstruierte eine falsche Dynamik der Ereignisse, um ein vordergründiges Motiv für die Ermordung Giovanni Falcones aufzubauen. Er legte eine falsche Spur, die das Attentat von Addaura vorwegnahm.
Am 21. Juni 1989 wurden auf den Klippen von Addaura, vor dem Haus, das Falcone für den Sommer gemietet hatte, achtundfünfzig Dynamitpatronen und Sprenggelatine gefunden. An jenem Tag hatte Falcone zwei Kollegen aus der Schweiz zu Gast: Carla Del Ponte und Claudio Lehmann. In Palermo wurde das Gerücht in Umlauf gebracht, der Ermittlungsrichter selbst habe das Attentat inszeniert, und es sei nur deshalb gescheitert, weil es fingiert gewesen sei. Erschüttert und geängstigt sagte der sonst in seinen Äußerungen eher zurückhaltende Falcone jetzt: »Wir haben es mit raffinierten Köpfen zu tun, die versuchen, bestimmte Aktionen der Mafia zu steuern. Womöglich gibt es Verbindungen zwischen der Führung der Cosa Nostra und geheimen Zentren der Macht, die ganz andere Interessen verfolgen. Ich habe den Eindruck, dies ist das plausibelste Szenario, wenn wir wirklich verstehen wollen, warum jemand mich umbringen will.« Bereits damals also mutmaßte Falcone, was zwanzig Jahre später, 2009, die Staatsanwälte herausfanden: Das Attentat von Addaura war nicht nur von den Bossen, sondern auch von Mitarbeitern der Geheimdienste organisiert worden.
Ein paar Monate nach Addaura wurde Falcone Oberstaatsanwalt in Palermo. Sein Vorgesetzter jedoch war Pietro Giammanco, der Freund einflussreicher Politiker der Democrazia Cristiana, die mit Salvo Lima verbunden waren. Falcone fühlte sich in dieser Behörde nicht wohl, er wurde auf Schritt und Tritt überwacht. Anfang 1991 verließ er Sizilien und ging als Leiter der Generaldirektion für Strafsachen ans Justizministerium nach Rom; Justizminister war Claudio Martelli. Als Kandidat für die Direzione nazionale antimafia (DNA), die Nationale Antimafia-Behörde oder
Superprocura
, wurde er vom Obersten Richterrat erneut abgelehnt und damit ein weiteres Mal isoliert. Damit war Falcones Tod vorprogrammiert. Er war zum Abschuss freigegeben.
Dieselben, die ihn zu Lebzeiten mit Schmutz beworfen und seine Arbeit behindert hatten, hoben ihn nach seinem Tod in den Himmel. Die politischen Kräfte und Strömungen innerhalb des Justizapparats, die ihn seit Beginn der Ermittlungen zum Maxi-Prozess angegriffen und wahlweise als »Kommunisten«, »Sheriff« und »Torquemada« (nach dem spanischen Großinquisitor des 15. Jahrhunderts) beschimpft hatten, hielten ihn jetzt anderen Staatsanwälten als leuchtendes Beispiel vor. Dies war das schäbige, das scheinheilige Italien.
An seinem letzten Tag als Staatsanwalt in Sizilien war Falcone bei einem Prozess in Catania als Zeuge geladen. Es war der 28. Februar 1991. An diesem Vormittag begegnete ich ihm im Gerichtssaal. Bevor er in den Zeugenstand trat, gingen ich und zwei weitere Journalisten – Francesco La Licata von
La Stampa
und Felice Cavallaro vom
Corriere della Sera
– zu ihm, um ihn zum Mittagessen einzuladen. Er sah uns mit listigem, forschendem Blick an, denn wir waren ihm stets auf den Fersen, um ihm ein Statement abzuringen. Dann verzog er den Mund zu einem Lächeln: »Gut, aber unter zwei Bedingungen: keine Interviews, und das Restaurant suche ich aus.« Die erste Bedingung Falcones überraschte uns nicht, wir waren seine Schweigsamkeit gewohnt. Was uns verblüffte, war das Restaurant, in dem er Meeresfrüchteessen wollte: das
Costa Azzurra
in Ognina am alten Hafen von Catania. Wir kannten es und wussten, dass es von den Ehrenmännern der Familie Santapaola frequentiert wurde, den Bossen im Osten Siziliens, die aufs engste mit den Corleonesern verbunden waren.
Falcone wollte nicht provozieren. Das Restaurant, in dem die Mafiosi ein und aus gingen, hatte er ausgewählt, weil es der sicherste Ort war, um in Ruhe zu essen. Doch leider irrte sich Falcone diesmal.
Wir trafen gegen vierzehn Uhr im
Costa Azzurra
ein. Das Lokal war leer, bis auf ein Pärchen im hinteren Teil und einen Rechtsanwalt, der in einer Ecke nahe der Küche mit dem Essen fast fertig war. Falcone setzte sich ans Kopfende des Tisches, wir gruppierten uns um ihn herum, seine Eskorte war ein paar Meter entfernt. Sobald der Besitzer, Francesco Alioto, Falcone erblickte, hörte er gar nicht mehr auf, sich zu verbeugen und um ihn herumzuscharwenzeln. Dann servierte er uns den frischesten Fisch, den er hatte. Wir aßen und unterhielten uns stundenlang, ohne
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