Die Mafia - 100 Fragen 100 Antworten - FAQ Frequently Asked Questions MAFIA
uns irgendwelche Notizen zu machen. Gegen drei kam auch Pietro Grasso, damals Mitarbeiter im Justizministerium. Giovanni Falcone war motiviert, er freute sich auf die vor ihm liegende Aufgabe in der Generaldirektion für Strafsachen in Rom. Und obwohl er uns vorgewarnt hatte – »keine Interviews« –, wusste er genau (und war insgeheim damit einverstanden), dass alles, was er sagte, am nächsten Tag in unseren Zeitungen stehen würde. Und so geschah es auch diesmal. Am späten Nachmittag verabschiedeten wir uns von ihm und kehrten ins Hotel zurück, um das, was er gesagt hatte, aufzuschreiben.
Keiner von uns hatte bemerkt, dass uns in dem Restaurant jemand entdeckt hatte, der ein Attentat plante. Die Mafiosi hatten alles vorbereitet, der Anschlag wurde nur deshalb nicht ausgeführt, weil die Killer ihren Boss Nitto Santapaola nicht kontaktieren konnten, um die Freigabe zum Abschuss zu erhalten. Die Geschichte wurde den Ermittlern ein paar Jahre später vonmehreren Kronzeugen aus Catania geschildert. Ich erfuhr erst achtzehn Jahre später davon, im Sommer 2009, als ich per Zufall eine Zeitung aufschlug und ein Interview mit dem nunmehrigen Leiter der Nationalen Antimafia-Behörde DNA, Pietro Grasso, las, der daran erinnerte, dass er ebenfalls einst nur knapp dem Tod in einem Restaurant in Catania entkommen war.
Sie wissen, wie es ist, mit dem Tod im Nacken zu leben …
Ich bin doch Sizilianer, ein echter Sizilianer. Für mich ist das Leben so viel wert wie ein Knopf an diesem Jackett …
Was ist ein Mafioso?
Ein Mafioso ist einer, der sich mit der Macht auskennt, der also versteht, was die Macht ist, und ihre Funktionsweise und ihre Mechanismen durchschaut. Aber nicht alle verstehen, was ein Mafioso wirklich ist. Selbst manchen meiner besten Freunde habe ich es nicht erklären können, Sizilianern wie ich, Palermitanern wie ich […]. Und natürlich ist die Mafia nicht einfach nur eine kriminelle Organisation. Sonst wäre sie längst zerschlagen worden, wie der Terrorismus.
Aber warum gehen Sie ausgerechnet jetzt, warum verlassen Sie Palermo und wechseln in ein Ministerium in Rom?
Wir haben bis heute in Palermo alles getan, um ein sauberes Zimmer zu bauen, um es möglichst gut zu renovieren, wie ein tüchtiger Maurer. Aber das reicht nicht aus, es kann nicht ausreichen […]. Der Kampf gegen die Mafia darf sich nicht auf ein einziges Zimmer beschränken, der Kampf gegen die Mafia muss sich auf das gesamte Haus erstrecken. Neben dem Maurer braucht man auch einen Bauingenieur. Ich gehe nach Rom, um am Bau dieses Hauses mitzuarbeiten. Wir müssen jetzt in größeren Dimensionen denken und allen klarmachen, dass das Problem keine Grenzen kennt und nicht nur Sizilien, nicht nur Italien betrifft. Es geht jetzt darum, eine gemeinsame europäische Strafgesetzgebung zu schaffen. Die wirtschaftliche Einheit reicht nicht aus, um ein wirklich ziviles Europa aufzubauen, wir müssen aufmerksam auf die Vereinigten Staaten schauen, ja, auf die Amerikaner. Von ihnen können wir einiges lernen.
Wir sprechen vom Kampf gegen die Mafia. Haben Sie in den vergangenen Monaten seitens irgendeiner Partei positive Signale entdeckt?
Der Kampf gegen die Mafia ist bis heute eine Frage von Personen. Es gibt keine Partei des Guten oder des Bösen. Auch hier geht die Front quer durch alle Lager […]. Es ist nicht einfach eine Frage der Parteizugehörigkeit. Das Unverständnis ist parteiübergreifend.
Es herrscht allenthalben große Mutlosigkeit. Selbst Staatsanwälte des alten Antimafia-Pools von Palermo scheinen kein Vertrauen mehr in einen Staat zu haben, der nicht einmal imstande ist, sich selbst zu verteidigen.
Ich, Giovanni Falcone, bin ein Vertreter dieses Staates. Ich glaube an die Institutionen. Andere bilden sich ein, sie könnten die Dinge von außen ins Lot bringen. Aber der Maurer und der Bauingenieur müssen im Innern des Zimmers, im Innern des Hauses sein.
Dottore, ist die Haftentlassung des »Papstes« von Ciaculli eine Niederlage der italienischen Justiz?
Alle Prozesse, in denen es nicht gelingt, den Schuldigen in Haft zu behalten, sind eine Niederlage des Staates. Aber Vorsicht, das ist ganz allgemein gesprochen, und es gilt auch für die Prozesse, bei denen Beweise fehlen, bei denen uns in der Hauptverhandlung die Indizien zwischen den Fingern zerbröseln. Wenn stichhaltige Beweise fehlen, wäre es meiner Ansicht nach besser, einen Prozess erst gar nicht zu beginnen.
In den vergangenen
Weitere Kostenlose Bücher