Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
heftig zurück.
»Doch, natürlich. Aber du sollst dich selbst dabei nicht vergessen. Und schon gar nicht dein Kind. Sieh doch nur, wie mager du geworden bist.« Änni umfasste Alenas Handgelenk.
»Aber nicht hier.« Alena strich mit der Hand über ihren Bauch, der sich unter dem Kleid wölbte. In ihrem Herzen regte sich etwas, das sich nicht wie Trauer anfühlte. Es war, als würde sich ein schwacher Lichtstrahl in einen dunklen Raum stehlen.
Ännis Blick hellte sich auf. »Bald wirst du es spüren. Oder ist es schon so weit?«
»Nein, ich habe es noch nicht gespürt. Was glaubst du? Wie wird es sein?«
Änni schob die Unterlippe vor, zuckte mit den Schultern und starrte auf Alenas Bauch. »Weiß nicht genau. Aber meine Mutter hat gesagt, am Anfang wäre es, als ob die Winde sanft durch den Darm nach draußen entfleuchen. Erst später spürt man die Tritte deutlicher. Dann kann man auch schon mal das Füßchen erkennen, das sich durch die Haut drücken will.«
»Wirklich?« Alena strich weiter mit der Hand über ihren Bauch. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Änni auch ihre Eltern verloren hatte. Sie blickte auf und sah ihre Freundin an. »Wie bist du darüber hinweggekommen?«
»Was meinst du?«
»Den Tod deiner Eltern. Ich habe mich das nie gefragt. Am Anfang, als du zu uns kamst, warst du sehr traurig. Aber nun scheint es, als hättest du ihren Tod überwunden«, seufzte Alena.
»Nein, Leni. Ich werde nie darüber hinwegkommen, glaube mir. Aber ich habe wieder Freude am Leben. Und weißt du auch, warum?«
Alena schüttelte den Kopf. »Nein, das hast du mir nie erzählt.«
»Es war diese Frau, die ich in den Wäldern im Bergischen Land vor Köln getroffen habe. Sie hatte mich eine Zeitlang in ihrer Hütte aufgenommen, nachdem ich mich verirrt hatte. Eines Abends saßen wir auf der Lichtung am Feuer und betrachteten die Sterne. Sie erklärte mir, dass jeder von ihnen eine Seele sei.«
Alena runzelte die Stirn. »Das stimmt doch gar nicht. Die Kirche lehrt uns etwas anderes.«
»Pah, die Kirche. Was lehrt sie uns denn? Die Angst vorm Fegefeuer und wie man das Säckchen zu füllen hat.«
»Nicht, Änni, das darfst du nicht sagen.«
»Hört doch niemand.« Änni rutschte auf der Bettkante näher.
»Doch, der Herr im Himmel hört dich. Er kann auch deine Gedanken sehen«, belehrte Alena sie.
»Ach! Na und? Meinst du, er würde mir nicht recht geben? Es ist so, wie es ist. Ich habe ein reines Herz. Der Herr kann mich nur lieben. Und wenn ich mich damit tröste, dass meine Eltern Sterne sind und auf mich herunterschauen, dann wird er wohl nichts dagegen haben. Oder?«
Das erste Mal seit ihres Vaters Tod musste Alena lachen. Der Gedanke gefiel ihr.
»Aber das ist nicht alles.« In Ännis Augen glänzte der Stolz des Wissens. »Sie bleiben nicht immer ein Stern. Wenn neues Leben auf die Erde kommt, kann es sein, dass sie zurückkehren, um den Menschen, die sie lieben, wieder ganz nah zu sein.«
Ännis Worte verwirrten Alena. Sie brauchte einen Augenblick, um ihre Gedanken zu ordnen, und knabberte an der Unterlippe. Ein Schauder durchfuhr sie, und sie blickte Änni ratlos an. »Was ist mit deinen Eltern? Sind sie dir schon nahe?«
Änni hob die Schultern. »Ich glaube, sie hocken noch am Himmelszelt und lassen sich reichlich Zeit.«
»Woher willst du das wissen?«
Ännis Hand legte sich auf ihr Herz. »Hier werde ich es spüren.«
»Sie könnten es dir aber auch sagen, wenn sie zurück sind.«
»Nein, das geht nicht. Die alte Frau hat mir erzählt, dass auf Erden jegliche Erinnerung der Seelen verlischt. Sie beginnen, wieder von vorn zu leben … wie ein Säugling eben. Nur im Herzen wird die Verbundenheit irgendwann zu spüren sein.« Ännis Blick verschleierte sich. »Manchmal glaube ich, dass wir beide Seelenverwandte sind.«
»Ich bin aber nicht deine Mutter, da bin ich mir sicher.« Alena schaute zum Fenster, hinter dem sich die Nachmittagssonne gen Westen neigte.
»Damit hast du sicher recht.« Änni lachte laut auf. »Dafür bist du viel zu ängstlich. Aber wer weiß? Vielleicht sind wir uns schon einmal begegnet.«
Alena nickte. Das war durchaus möglich, denn auch ihr schien es oft, als kenne sie die Magd bereits ihr ganzes Leben.
Die Ruhe im Haus raubte Alena schier den Verstand. Rastlos trat sie ans Fenster und schaute hinaus auf die Gasse.
Der Winter hatte ihnen in den ersten Monaten des Jahres noch viel Eis und klirrende Kälte beschert. Doch nun strahlte die Maisonne von einem
Weitere Kostenlose Bücher