Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Kleides war eine Naht aufgeplatzt. Mergh drückte sie mit Zeigefinger und Daumen zusammen. Vielleicht sollte sie eine Schneiderin einstellen, die sich nur um ihre Garderobe kümmerte. Sie blickte wieder zu Gotthardt. »Nein, mein Sohn. Der Tod deines Schwiegervaters hat mich zutiefst erschüttert. Aber dennoch, es war Gottes Wille. Und der Herr hat dir damit einen großen Stein aus dem Weg geräumt.« In ihrer Brust verspürte sie plötzlich einen schmerzhaften Druck. Sie atmete tief ein, um ihn zurückzudrängen.
Die vergangenen Christ-Feiertage waren die traurigsten ihres Lebens gewesen. Gedankenverloren starrte Alena auf die Gasse, über die sich eine dünne Schneedecke gelegt hatte. Die Sonne hatte sich durch die Wolken gekämpft und ließ die Eiszapfen vor ihrem Fenster wie Kristallglas schimmern.
Auch am letzten Tag des Jahres würde sie wie an den Christ-Feiertagen in ihrer Kammer bleiben. Mergh hatte zwar keine Gäste geladen, weil sich dies im Trauerjahr nicht gehörte, doch in der Küche werkelte Zilli fleißiger denn je, denn die Gelegenheit für ein Festmahl ließ die Schwiegermutter nicht ungenutzt verstreichen.
Alena drückte den Rücken durch und presste ihn gegen das kalte Gemäuer. Die Sehnsucht nach dem Vater und der Schmerz in ihrem Herzen würden nie vergehen. Da war sie sich ganz sicher. Ihr Leben war es nicht mehr wert, gelebt zu werden. Wenn das Kleine in ihrem Bauch nicht gewesen wäre, hätte sie schon längst den Tod gesucht. Sie dachte an ihren Mann, der sie weiterhin behandelte, als wäre sie Luft für ihn. Nie fragte er, wie es ihr ging und ob mit dem Kind alles in Ordnung war. Doch das belastete sie nicht. Wichtig war nur, dass er sie des Nachts in Ruhe ließ, und das tat er. Das Mittel der Hebamme ließ ihn schlafen wie einen Bären im Winter. Alena legte die Hand auf den Bauch. Wie sollte es nur weitergehen?
Plötzlich knallte etwas gegen die Fensterscheibe, und ein gehöriger Schreck fuhr durch ihre Glieder. Sie sprang vom Fenster fort und sah mit starrem Blick auf die Scheibe, auf der sich ein weißer Fleck abmalte. Erleichtert atmete sie auf und trat wieder an die Scheibe.
Unten auf der Straße stand Änni und winkte ihr zu. Ihre Hände steckten in wollenen Fäustlingen, und aus einer warmen Kapuze lugte ihr gerötetes Gesicht. Für einen Augenblick musste Alena lächeln. Die Freundin bedeutete ihr, dass sie das Fenster öffnen sollte, und Alena gehorchte.
»Nun komm, Leni! Zieh dir etwas Warmes an und lass uns einen Spaziergang machen. Die Luft ist herrlich klar.« Weiße Wölkchen stiegen von Ännis Lippen auf.
»Nein, lass mich.« Mit gesenktem Blick schloss Alena das Fenster und begab sich zu ihrem Bett. Die Kälte hatte sich angenehm auf ihre Wangen gelegt. Für einen Augenblick betrachtete sie die Stickarbeiten, die auf der Decke lagen. Mergh war der Meinung gewesen, es wäre noch zu früh, das Taufkleid anzufertigen. Doch die Feiertage vergingen nur allzu langsam, wenn Alena sich nicht mit den Arbeiten im Haushalt beschäftigen konnte. Erst hatte die Schwiegermutter sie zu Zilli in die Küche stecken wollen, aber die Köchin hatte sich entschieden dagegen gesträubt. Alena konnte sie verstehen. Was sollte Zilli mit solch einem Trauerkloß, wie sie es war, in der Küche anfangen?
Die Tür öffnete sich, und begleitet von einem kalten Windzug, der nach Schnee roch, trat Änni in die Kammer. »Warum lässt du mich so achtlos unten stehen?« Die Freundin war immer noch in den warmen Umhang gehüllt und streifte sich die Fäustlinge von den Händen.
Alena senkte den Blick und zuckte mit den Schultern. »Du weißt doch … ich mag niemanden sehen.«
»Willst du dich etwa auf Lebzeiten in deiner Kammer verstecken?«
»Es ist der Schmerz in meinem Herzen. Er will nicht weichen. Ich vermisse Vater so.« Alena starrte auf das Porträt an der Wand. Sie hatte es aus Vaters Arbeitszimmer geholt und über die Kommode gehängt. Hellblaue Augen leuchteten in seinem Gesicht unter dem Haarkranz. Wie er dort lächelnd auf dem Lehnstuhl saß und die Hände über dem Bauch gefaltet hatte, schien es, als würde er noch leben. Doch wenn sie mit ihm sprach, antwortete er nicht. Sein Gesicht blieb immer lächelnd, auch wenn sie ihm ihre Nöte anvertraute. Mittlerweile war sie es leid, mit seinem Abbild zu reden.
»Leni, du darfst dich hier nicht verkriechen, als lägest du selbst schon unter der Erde.« Änni riss sie aus ihren Gedanken.
»Darf ich etwa nicht trauern?«, gab Alena
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