Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Verzweifelt schaute sie den Kleinen an. Nähren konnte sie ihn, doch wo sollte sie Tücher herbekommen, um ihn zu wickeln?
Behutsam legte sie den Jungen auf den Boden, zog sich das Nachtgewand aus und eines ihrer Kleider über. Zum Glück herrschte hier in der Gasse hinter den Gärten der Klöster nicht solch ein geschäftiges Treiben wie an so manch anderer Stelle vor der Stadtmauer.
Gabriel erhob sein Stimmchen, und Alena legte ihn an ihre Brust. Als der Kleine gesättigt eingeschlafen war, riss sie das Linnen ihres Nachtgewandes in rechteckige Stücke und faltete sie zusammen. Nur eines ließ sie ausgebreitet liegen. Sanft wickelte sie den Kleinen aus den beschmutzten Tüchern und band ihm ein frisches um. Die übrigen packte sie mit ihrem Kleid zusammen und verknotete das Bündel. Lange würde der Vorrat nicht reichen.
Wieder keimte die Verzweiflung in ihr auf. Wo sollte sie nur hin mit dem Kind? Niemanden in dieser Stadt konnte sie um Hilfe bitten. Alle Bürger des Heiligen Köln würden Gabriel als Satans Kind betrachten. Zudem durfte sie Gotthardt nicht mehr begegnen. Doch die Mauern zu verlassen und auf das freie Feld zu fliehen, wagte sie nicht.
In Alenas Augen brannten Tränen der Hilflosigkeit. Ihr Bauch meldete sich mit einem Grummeln und erinnerte an die Leere, die in ihm herrschte. Verzweifelt dachte sie daran, dass Zilli sie ermahnt hatte, nur ja genug zu essen, damit die Milch in ihren Brüsten nicht versiegte.
Es gab nur einen Ausweg. Sie musste sich etwas Brot erbetteln. Alena entknotete das Bündel, holte ein Tuch heraus und wickelte Gabriel so darin ein, dass nur noch Mund und Näschen zu erkennen waren. So musste es gehen. Niemand würde das weiße Haar oder gar die roten Augen sehen. Sie erhob sich und schritt mit dem Kind im Arm die Stadtmauer entlang. Sie sollte es mit dem Betteln vor den Kirchen versuchen, denn dort waren die Bürger besonders freigiebig. Sie schaute an ihrem samtenen Kleid mit den goldenen Bordüren an den Ärmeln hinunter. Wer würde ihr etwas geben, wenn sie, in diesen feinen Stoff gekleidet, vor einem Gotteshaus saß und bettelte?
Ratlos ließ sie sich erneut in dem Rundbogen nieder. Doch nach nur kurzer Zeit hatte die Unrast wieder Besitz von ihr ergriffen, und Alena erhob sich. Sie musste aufbrechen. Wenn sie weiter untätig herumsaß, würde sie niemals etwas zu essen bekommen.
Alena war erst wenige Schritte gegangen, als sie bemerkte, wie schwach sie immer noch war. Immer wieder stolperte sie und musste achtgeben, nicht zu fallen.
Eine Magd mit einem Korb voller Brotlaibe unter dem Arm begegnete ihr und beäugte sie neugierig. Doch anstatt Hilfe anzubieten, ging sie ihrer Wege. Und sie war nicht die Einzige. Keiner der Bürger, die ihren Weg kreuzten, war bereit zu helfen. Tuschelnd, manchmal auch kopfschüttelnd, schritten sie an ihr vorbei. Alena kam sich vor wie einer dieser kleinen Menschen, die mit den Schaustellern auf den Jahrmärkten auftraten und von allen begafft wurden.
Eine kalte Faust griff nach ihrem Herzen. Wie würde es erst Gabriel ergehen, wenn er größer war und durch die Straßen lief? Für ihn wäre es unmöglich, ein unbeschwertes Leben zu führen. Für immer und ewig würde sie ihn vor den Menschen verstecken müssen. In ihren Augen brannten Tränen, und sie versuchte verzweifelt, sie zurückzuhalten. Niemand sollte sehen, wie bedrückt sie war. Den Blick starr auf die Straße gerichtet, lief sie weiter, ohne darüber nachzudenken, wie lange ihre Beine sie noch tragen konnten. Gott würde ihr zur Seite stehen.
Als sie die Trankgasse erreicht hatte, verließen sie endgültig die Kräfte. Mit dem Rücken gegen eine Häuserwand gelehnt, sank sie in die Knie. Plötzlich hörte sie eine Schelle klingen, und kurz darauf stand ein bärtiger Mann vor ihr, der weiße Handschuhe, einen ebensolchen Umhang und einen breitkrempigen Hut trug. In der einen Hand hielt er eine Glocke und in der anderen eine Büchse. Um seinen Bauch war eine Kordel gebunden, an der ein Beutel befestigt war. Dem Duft nach zu urteilen, der dem Beutel entströmte, befand sich Brot darin. Die Warmherzigkeit, die aus den hellblauen Augen strahlte, erinnerte Alena an ihren Vater. Nun verließ sie vollends der Mut, und das Schluchzen ließ sich nicht mehr zurückhalten.
Der Mann ging vor ihr in die Hocke und stellte die Büchse neben sich auf den Boden. Gabriel wand sich in ihrem Arm und begann zu wimmern.
»Das Kleine ist erst wenige Tage alt, das höre ich an seiner
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