Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
an ihren Füßen wollten nicht heilen und hatten sich entzündet. Sie konnte kaum noch gehen, Schuhe zu tragen, war schier unmöglich geworden. Dazu schmerzten Knie und Rücken. Im Grunde gab es keine Stelle mehr an ihrem Leib, die sie nicht piesackte. Stöhnend stieg sie in ihrer Gasse aus der Kutsche.
Änni lief ins Haus, ohne ihr behilflich zu sein. Dieses Miststück war auf der Reise sowieso mehr Ballast als Stütze gewesen. Bei der nächsten Gelegenheit würde sie die Magd aus dem Haus jagen.
Barfuß quälte sich Mergh die Stufen zur Eingangstür hinauf. Gotthardt war wohl im Rathaus, wie es sich für einen guten Syndikus gehörte.
Als Mergh die Küche betrat, fehlte von Zilli jede Spur. Vermutlich schlief die Küchenfrau noch. Plötzlich hallten Schritte hinter ihr, und Mergh fuhr herum. Es war Gotthardt!
Er ließ sich vor ihr auf die Knie fallen und weinte herzzerreißend in seine Hände. Sein Leib bebte unter den Schluchzern.
In Merghs Kopf rauschte es. Etwas Schreckliches musste geschehen sein. »Gotthardt, mein Junge! Was ist? Was ist passiert?« Trotz ihrer schmerzenden Füße war sie mit einem Satz bei ihrem Sohn und rüttelte an seinen Schultern. »Ist es der Rat? Haben sie dich deines Amtes enthoben?«
Gotthardt riss den Kopf hoch. »Nein …«, jammerte er und raufte sich die Haare.
»Was denn dann, Gotthardt? Was kann schlimmer sein?«
»Mein Sohn! Alena!«, greinte er nun wieder lauthals. »Sie sind …«
Mergh sah ihn entgeistert an. Ihr Mund wurde trocken.
»Nein, Gotthardt! Sag nicht …«
»Doch, Mutter. Sie sind tot. Alle beide.« Er klammerte sich an ihre Beine. »Helft mir, Mutter! Wie kann der Herr nur so grausam sein?«
Unter Merghs Füßen schwankte der Boden. Ihr Enkel durfte nicht tot sein. Sie hatte diese mühselige Pilgerreise schließlich nur auf sich genommen, um Gottes Wohlwollen zu erbitten. Das Kind durfte nicht tot sein!
»Sie haben die Geburt nicht überlebt«, wimmerte Gotthardt in ihre Röcke.
Mergh entwand sich seinem Griff und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Um sie herum drehte sich die Küche. »Ich muss ihn sehen. Ich muss unbedingt meinen Enkel sehen.«
»Das geht nicht, ich habe sie beide bereits beerdigen müssen. Ich wusste doch nicht, wann Ihr heimkehrt.«
»Wann ist es geschehen?« Mergh rang um Fassung. Gotthardt würde einen neuen Sohn zeugen. Wenn erst einmal das Trauerjahr vorüber war und er eine neue Frau hätte. Allmählich beruhigte sie sich.
»Wo ist Alena?« Ännis Stimme drang zu ihr herüber.
Mergh fuhr ruckartig herum. Die Magd war leichenblass und zitterte am ganzen Leib.
»Tot, sie ist tot. Genau wie das arme Kind. Sie war nicht fähig, meinen Enkel gesund auf die Welt zu bringen«, entgegnete Mergh mit rauer Stimme.
Ein Aufschrei hallte durch die Küche. Änni wandte sich ab, raffte ihre Röcke und rannte hinaus.
»Ja, lauf nur, du dumme Gans! Bald schon bist du wieder zurück. Spätestens, wenn der Hunger sich durch dein Gedärm frisst.« Mergh schüttelte ungehalten den Kopf und wandte sich wieder ihrem Sohn zu. »Steh auf, Gotthardt! Das Kind war nicht lebensfähig. Doch du wirst noch viele Söhne zeugen. Mit einer kräftigen Frau, die dir gesunde Kinder gebärt.«
Gotthardt erhob sich von den Knien und setzte sich zu seiner Mutter an den Tisch. Seine Augen waren rot gerändert, und sein Haar stand wirr vom Kopf.
»Du darfst dich nicht gehenlassen, mein Sohn. Trag es mit Fassung. Das wird auch dein Ansehen im Rat steigern.« Mergh schaute sich in der Küche um. »Wo ist Zilli?«
»Fort.« Gotthardt wischte sich mit dem Hemdsärmel über die Nase.
»Fort?«
»Ich habe sie davongejagt, weil sie uns bestohlen hat.«
»Dieses Miststück!«, stieß Mergh hervor. »Wie soll ich denn so schnell eine neue Küchenfrau finden?« Ihr Blick wanderte zu den verkrusteten Kesseln, die sich im Spülstein stapelten. Plötzlich spürte sie ihre Füße wieder. Diese verdammte Pilgerreise hatte zu nichts Gutem geführt. Im Gegenteil, es trug sich nun ein Unglück nach dem anderen zu. Fehlte nur noch, dass Gotthardt Schwierigkeiten mit der Inquisition bekam. Ihr Brustkorb schnürte sich zusammen. Die Angst kroch in ihr Herz und wütete darin wie eine Steinaxt.
Als Alena erwachte, betete sie mit geschlossenen Augen, sie möge in ihrem Bett liegen und alles wäre nur ein böser Traum. Doch der harte Boden unter ihrem Rücken belehrte sie eines Besseren.
In ihrem Arm regte sich Gabriel, und ein beißender Geruch stieg ihr in die Nase.
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