Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Dann legte sie das schlafende Kind wieder zurück, strich über Mettels Hand und verließ wortlos die Stube. Der Kloß in ihrem Hals hatte ihr die Stimme geraubt.
Trotz der Hitze an diesem ersten Tag im Juni überzog eine Gänsehaut Alenas Arme. Zu ihrer Rechten entdeckte sie hinter den Birnbäumen schon bald die Mauern des Leprosenhofes. Es schien ihr, als liefe sie auf Wolken, jederzeit in Gefahr, den Halt unter den Füßen zu verlieren. Gabriel fehlte ihr so sehr, als hätte sie ein Leben ohne ihn nie gelebt. Lieber hätte sie einen Arm oder ein Bein zurückgelassen als ihr Kind.
Alena sog tief den Atem ein. Sie würde ihn wiedersehen, und zwar schon bald. Außerdem war er bei Mettel in guten Händen. Ein guter Lohn sollte der Bäuerin gewiss sein, doch dafür musste sie arbeiten.
Die Verwalterin rümpfte die spitze Nase und beäugte Alenas Kleider. »Dein Kleid ist schäbig, aber aus bestem Tuch geschneidert. Warum bist du hier? Hast du Dreck am Stecken?«
»Mein Mann ist unerwartet aus dem Leben geschieden und hat mir nichts als Spielschulden hinterlassen.« Alena knetete die Hände.
»Soso. Du bist also Witwe.«
Die Worte der Verwalterin trafen einen wunden Punkt in Alenas Herzen. Genau so war es. Sie hatte keinen Gemahl mehr. Von dem Augenblick an, als er sie verstoßen hatte, war Gotthardt für sie gestorben. Sie war es für ihn sicher auch. Wieder dachte sie darüber nach, was er Änni erzählt haben könnte. Tränen traten in ihre Augen.
»Du hast Glück. Es fehlt an einer Magd. Wenn du dich geschickt anstellst, darfst du bleiben.«
Alena wusste nicht, ob sie sich wirklich darüber freuen sollte. Doch dann dachte sie an Gabriel. Er musste gut versorgt sein, nur das zählte. Ob die Arbeit ihr Freude machte, war nicht wichtig. »Was ist mit meinem Lohn? Wann bekomme ich ihn?«
Die Verwalterin entblößte schwarze Zahnstummel. »Du hast es sehr eilig. Hast doch noch keinen Handschlag getan.«
Alena schob die Ärmel hoch. »Wo kann ich anfangen?« Je eher sie zu arbeiten begann, desto weniger würde sie über ihren Kummer nachdenken. Und umso schneller konnte sie Mettel das Geld bringen und Gabriel wiedersehen.
»Du kümmerst dich erst einmal um die Wäsche. Sie wird erledigt, so wie sie anfällt, und zwar ohne zu murren. Hast du mich verstanden?«
Der schroffe Ton der Verwalterin versprach eine harte Zeit. Doch schlimmer als bei Mergh würde es sicher nicht werden. Vielleicht kam es ihr nun zugute, dass sie bei der Schwiegermutter in der Lehre gewesen war.
»Gut, zeigt mir das Waschhaus.«
»Mein Name ist übrigens Elsgen.« Die Verwalterin nickte zum Gehen und führte Alena über den Hof. »Eine emsige Magd wird hier reich belohnt. Auch von den Siechen.«
Der Hof erinnerte an ein kleines Dorf mit Wohnhäusern, Ställen und Scheunen. Es gab sogar eine eigene Kapelle mit einem kleinen Friedhof, dazu ein Brauhaus, ein Backhaus, eine Gastwirtschaft und einen großen Garten, in dem neben Obstbäumen der Wein rankte.
»Abends wirst du die Siechen immer nach ihren Wünschen fragen und diese am nächsten Morgen in der Stadt besorgen.«
»Ich darf jeden Morgen in die Stadt?« Alenas Augen glänzten.
»Aber nicht zum Müßiggang. Sobald du die Besorgungen erledigt hast, kehrst du ohne Umwege auf den Hof zurück. Und vergiss nicht, den Siechenmantel zu tragen.«
Wie ein allzu prall gefüllter Hammelmagen zerplatzte Alenas Traum. Für einen Augenblick hatte sie gehofft, jeden Tag nach Gabriel sehen zu können. »Aber des Sonntags darf ich die Messe doch besuchen?«, versuchte sie, mögliche Abwesenheit bereits jetzt zu begründen.
»Du darfst die Messe besuchen, so oft sie gehalten wird. Deshalb haben wir sogar eine eigene Kapelle.«
»Ich dachte eher daran, sie in meinem Kirchspiel besuchen zu dürfen«, wandte Alena vorsichtig ein. Wenn sie nicht wenigstens einmal die Woche zu Gabriel durfte, dann wollte sie nicht hierbleiben.
»Sonntagvormittags kannst du tun und lassen, was du willst. Das sind deine freien Stunden. Am Mittag musst du jedoch wieder hier sein.«
Alena atmete erleichtert auf. Heute war Freitag. Schon in zwei Tagen würde sie wieder bei ihrem Kind sein.
»Es arbeitet übrigens noch eine Magd auf dem Hof. Ihr Name ist Trin.« Die Verwalterin verzog die Lippen, als hätte sie in einen sauren Apfel gebissen.
In dem Waschhaus stapelten sich Berge von Wäsche. Als Erstes entzündete Alena mit Feuerstahl und Zunderschwamm das Holz unter dem Zuber und sortierte dann die Leib- von der
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