Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Bettwäsche. In Gedanken war sie bei Gabriel und sah vor ihrem inneren Auge, wie er Ziegenmilch zu trinken bekam. »Du schaffst das, mein Herz! Du bist ein tapferer kleiner Junge. Bald bin ich wieder bei dir«, flüsterte sie.
Die andere Magd hatte sich offenbar schon eine Weile nicht mehr um die Wäsche gekümmert. Hatte Elsgen nicht gesagt, es würde gewaschen, wie die Wäsche anfiel? Dem Geruch nach zu urteilen, waren diese Mengen jedoch schon vor längerer Zeit angefallen.
Trotzdem hatte Alena bis zum Abend einen großen Teil erledigt, und die Kleider der Siechen hingen nun nach Seife duftend auf den Leinen vor dem Waschhaus. Sie bog den Rücken durch und ließ sich die Strahlen der schrägstehenden Sonne ins Gesicht scheinen.
Ein Gong ertönte, der zum Abendmahl lud. Schon spürte Alena ihren Magen, der sich knurrend meldete. In Erwartung einer Mahlzeit eilte sie auf das backsteinerne Haus zu.
Doch ehe sie eintreten konnte, hielt sie jemand am Arm zurück. Alena blickte sich um und sah in ein paar graue Augen, die sie aus einem eingefallenen Gesicht anblickten. Unter der Haube, die die Frau trug, lugte eine rotblonde Strähne hervor, und die Schürze war übersät mit Flecken. Gewiss war dies Trin, die andere Magd.
Alena schenkte ihr ein Lächeln und stellte sich vor. Doch die Frau blickte sie nur stumm an und knetete einen Lappen in ihrer Hand.
»Die bekommt das Maul nicht auf, gib dir keine Mühe.« Elsgen war mittlerweile zu ihnen getreten.
»Wie?«
Trin ließ das Tuch fallen und schien es nicht einmal zu bemerken.
»Die hat noch kein Wort gesprochen, seit sie hier ist. Aber taub ist sie nicht.« Die Verwalterin bückte sich nach dem Tuch. Ein Furz entfleuchte ihrem mageren Hintern und hinterließ den Gestank von Jauche. Als wäre nichts geschehen, drückte sie Trin den Lappen wieder in die Hand und wandte sich dann Alena zu. »Ihr nehmt die Mahlzeiten gemeinsam mit den Siechen ein. Anschließend helft ihr dem Koch, die Küche zu reinigen.«
Alena spürte, wie ihr Appetit schwand. Sie hatte geglaubt, das Gesinde bliebe unter sich, so wie es in jedem Haushalt üblich war. Doch bevor sie über diese Umstände nachdenken konnte, schob Elsgen sie auch schon in das Gemeinschaftshaus.
Der Duft von gebratenem Speck und Zwiebeln waberte durch den Raum. Stimmengewirr und das Klappern von Holzlöffeln hallten von den Wänden wider. Alena wagte es kaum, den Blick schweifen zu lassen. Sie wunderte sich. Anstatt in die Gesichter von entstellten Kreaturen zu blicken, stellte sie fest, dass überwiegend alte Menschen an den langen Tischen saßen. Viele von ihnen hatten sogar eine eigene Aufwartefrau, die ihnen das Essen reichte.
»Du und Trin, ihr esst hinten bei den Siechen.« Elsgen gab Alena einen Schubs.
An dem Tisch in einer der hintersten Ecken saßen mehrere Personen, die deutlich jünger waren als die vielen Greise im Raum. Mit klopfendem Herzen schritt Alena auf sie zu. Zuerst erblickte sie die junge Frau mit dem Säugling im Arm, deren Gesicht mit unzähligen Pocken übersät war. Der junge Mann, der neben ihr saß, beugte sich über seinen Teller. Er hatte krauses Haar.
Das konnte doch nicht sein … dieser Mann … Alena schloss die Augen. Nach all dem, was sie durchgemacht hatte, war es kein Wunder, wenn ihr das Hirn einen Streich spielte. Warum saß er hier? Ein gehöriger Schreck fuhr durch Alenas Glieder. War Iven etwa an der Sieche erkrankt? Auf wackeligen Beinen trat sie an den Tisch.
Ivens leere Augen starrten auf die Holzschale, die unangetastet vor ihm stand.
»Guten Tag, Iven.« Ihre Stimme zitterte.
Der junge Mann riss den Kopf hoch und sah Alena ausdruckslos an.
»Was machst du hier?« Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass er leibhaftig vor ihr saß. Er hatte doch so gesund gewirkt. Erst jetzt wurde Alena bewusst, wie viele Monate sie ihn nicht mehr gesehen hatte. Ihr Herz führte einen wilden Tanz auf, und sie wusste nicht, ob vor Freude oder Entsetzen.
»Was wohl?« Er schob den Ärmel seines Hemdes hoch.
In Alenas Kopf summte es, als sie die roten Flecken auf seiner Haut sah. »Diese verdammte Sieche!«, fluchte sie leise.
»Mädchen, wie wäre es, wenn du dich erst einmal hinsetzt?« Die füllige Frau, deren Hintern nur knapp auf der schmalen Bank Platz fand, zupfte an Alenas Ärmel.
Alena ließ sich neben einem hageren Mann, der hastig die Suppe in sich hineinlöffelte, auf die Bank sinken. Ihm gegenüber starrte die pockennarbige Frau teilnahmslos aus dem Fenster.
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