Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Tür, und Diederich taumelte in die Stube. Sein Mantel war zerrissen, und quer über sein Gesicht zog sich eine Schramme.
Alena sprang auf. »Was ist geschehen, Diederich?« Sie fasste nach seiner Hand und führte ihn an den Tisch, damit er sich setzen konnte.
»Ein Überfall«, schnaufte der Schellenmann. »Die Diebe haben mir alles abgenommen. Den Bettelsack und die Büchse.«
Die Bäuerin betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Es ist noch nicht einmal richtig dunkel. Es müssen doch noch Leute in den Gassen gewesen sein.«
»Gegafft haben sie nur.« Diederich fuhr sich mit dem Handschuh über die Schramme. Ein roter Streifen blieb auf dem Stoff zurück.
»Wie dumm muss man sein, sich auf offener Gasse und am helllichten Tag die Büchse rauben zu lassen?«
»Die Diebe haben mir ein Messer mitten durch das Gesicht gezogen, siehst du das nicht?«
»Die Schramme ist nicht tief. Vielleicht spielst du uns etwas vor. Hast du gesoffen?« Die Bäuerin schnüffelte unmittelbar vor Diederichs Gesicht. »Wusste ich es doch. Du hast getrunken. Mehr als genug.«
Alena hielt die Luft an. Fürchtete Mettel etwa, er wollte sie um das Geld bringen? Nein, das traute sie Diederich nie und nimmer zu.
»Was glaubst du eigentlich von mir?«, empörte sich Diederich. »Willst du behaupten, ich hätte mir die Wunde selbst zugefügt?«
Mettel verschränkte die Arme vor der Brust, setzte eine gleichgültige Miene auf und zog die Schultern in die Höhe. »Ich hab schon Kühe kotzen sehen. Vielleicht hast du es dir mit deiner Großzügigkeit anders überlegt.«
Alena sah sich bereits in der Nacht mit Gabriel auf dem Arm durch die Kölner Gassen laufen. Nun, wo das Geld fehlte, durfte sie bestimmt nicht bleiben.
15. K APITEL
D as Schluchzen seiner Mutter hallte noch immer in Ivens Ohren. Seine Seelenmesse hatte er nur hinter einer Nebelwand vernommen. Kein Wort von dem, was der Priester gesprochen hatte, war in seiner Erinnerung haftengeblieben. Nach dem letzten Amen war Iven aufgesprungen und aus der Kapelle gehastet, ohne zu warten, bis auch die Eltern sich von den Bänken erhoben hatten. Warum auch? Er war tot, und Tote konnten niemanden mehr stützen. Um Vater und Mutter musste sich nun Hans Jorgen kümmern.
Außer Atem strich Iven über den Wasserspeier. Nun verschlang ihn nicht mehr das Maul der Ungerechtigkeit im Rat der Stadt Köln, sondern das der Sieche. Und daraus gab es endgültig kein Entkommen mehr, denn dies war Gottes Wille. Nur einmal noch wollte er seine Skulptur berühren, sich von ihr verabschieden, bevor seine Eltern und sein Bruder heimkehrten.
Es hatte sich doch tatsächlich auf die Schnelle ein Käufer dafür gefunden. Martin von Hassel, Bannerherr der Gaffel Himmelreich, hatte sein Interesse bekundet. Unter anderen Umständen hätte Iven sich nie von dem Wasserspeier getrennt. Doch nun brauchte er das Geld, um sich seine Pfründe auf dem Leprosenhof zu sichern.
Blind von dem Tränenschleier in seinen Augen, verließ Iven den Schuppen. Auf einen Karren hatte er sein Bett und seine wenigen Habseligkeiten geladen. Mit eiskaltem Herzen zog er das Gefährt in Richtung Hahnenpforte, um die Mauern der Stadt zu verlassen.
Vor dem Haus des Hospitalmeisters verströmte ein Fliederbusch seinen Duft, dessen Äste sich unter den weißen Blüten bogen. Ein hüfthoher Lattenzaun trennte den Garten von dem Hof der Leprosen und grenzte an eine Steinmauer, hinter der das offene Feld lag.
Iven klopfte, und bald darauf öffnete ihm der Hospitalmeister, stellte sich als Ambrosius Peltzer vor und bat ihn in sein Schreibzimmer. Dort nahm Iven unter dem Fenster auf einem der Stühle Platz und wartete, bis sich Ambrosius hinter seinem Schreibpult niedergelassen hatte. Eine Gleichgültigkeit überfiel ihn, wie er sie noch nie in seinem Leben gespürt hatte.
»Wie ich diesen Schriftstücken entnehmen kann, überlässt du dem Leprosenhaus eine Summe von achtzig Mark. Dafür erhältst du eine wöchentliche Pfründe von eineinhalb Mark. Wann können wir mit dem Geld rechnen?« Ambrosius sah Iven über sein Sehglas hinweg an.
»Von Hassel wird es Euch morgen bringen.«
»Gut. Dann werden wir erst den morgigen Tag abwarten, bevor du deine Pfründe für diese Woche ausbezahlt bekommst.«
Der Hospitalmeister schaute wieder auf das Schriftstück. »Was ist mit den Beträgen, die du einbringen musst, für die Insassen, den Pastor und die übrigen Amtsträger auf dem Hof? Auch morgen?«
»Welche Beträge? Davon wurde mir im Magistrat
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