Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Unheil gibt’s auf dieser Erde, das dieser verfluchte Mistkerl unbeachtet vorüberziehen lässt.«
Alena erhob sich, trat zu Iven und strich ihm über den Rücken. »Beruhige dich bitte!«
Iven wandte sich zu ihr und zog sie in seine Arme. »Hier auf dem Hof kann es nicht so weitergehen. Das Siechenhaus darf nicht mehr und mehr zu einer Anstalt für alte Leute werden.«
»Darin allein läge nichts Verwerfliches, wenn die Alten auf diese Weise nicht auch um ihr gesamtes Hab und Gut gebracht würden, weil die Familie sich nicht um sie kümmern will und sie stattdessen hier ablädt.« Alena drängte sich an Iven, als wollte sie ihm so etwas von ihrer neuen Kraft geben.
»Wir müssen die Vorgänge auf dem Hof im Auge behalten, wenn wir etwas unternehmen wollen. Aber mein Wort ist nichts mehr wert. Ich habe all meine Rechte verloren.«
»Du kannst dich auf meine Hilfe verlassen. Auch wenn meine Worte ebenfalls nicht zählen, weil sie aus dem Mund einer Frau stammen, werde ich alles tun, um die richtigen Leute zu überzeugen.« Sie legte die Hände um sein Gesicht und versank im Grün seiner Augen.
19. K APITEL
W enige Tage vor dem Johannistag, an dem wie jedes Jahr einer der beiden Bürgermeister neu gewählt wurde, tobte auf dem Platz vor dem Rathaus das gemeine Volk. Mit geballten Fäusten, Forken, Holzprügeln und lauten Stimmen forderte die aufgebrachte Menge die Inhaftierung der Bürgermeister.
Vor geraumer Zeit hatte der Rat die 44er der Gaffeln in den Inquisitionsprozess einbezogen und gehofft, auf diese Weise die Kölner Bürger zu beruhigen. Doch der Erfolg dieser Maßnahme ließ auf sich warten. Der Prozessverlauf wurde immer wieder gestört, denn die ehemals einflusslosen Deputierten der Gaffeln mit Gülich an der Spitze hatten sich zu lästigen Störenfrieden entwickelt.
Der ehemalige Bürgermeister Wolffskehl hatte bereits die Nase in den Wind gehalten und vorsorglich die Stadt verlassen.
Mergh blickte besorgt aus dem Fenster. Nachdem sie von den Tumulten gehört hatte, war sie krank vor Angst zu Gotthardt ins Rathaus geeilt. »Dort unten tobt ein Bauernkrieg. Dieser gottverdammte Pöbel ist bereit, den Bürgermeistern die Forken in die Leiber zu rammen!«
Die Tür zu Gotthardts Arbeitszimmer flog auf, und ein gehetzt wirkender Schreiberling stand im Rahmen. »Der Rat hat eine Sondersitzung einberufen. Ich bin gekommen, um Euch zu holen.«
»Ich komme mit!«, rief Mergh mit hochrotem Kopf.
Gotthardt sah sie an, als wäre sie nicht recht bei Sinnen. »Seid Ihr nicht bei Trost, Mutter? Euch wird man nicht einmal in den Saal hineinlassen. Ihr bleibt hier! Und geht vom Fenster fort, bevor Euch ein Stein trifft.« Mit diesen Worten eilte Gotthardt aus dem Zimmer.
Endlos zogen sich die Stunden dahin. Immer wieder schaute Mergh zur Tür, dann wieder aus dem Fenster. Die Bürger hatten sich noch nicht beruhigt. Mittlerweile flogen tatsächlich Steine, und einer verfehlte um Haaresbreite das Fenster, an dem sie stand. Erschrocken fuhr Mergh zurück.
»Ich habe Euch doch gesagt, dass Ihr vom Fenster wegbleiben sollt!« Gotthardt betrat den Raum. Er nahm den hohen Hut vom Kopf und warf ihn auf das Schreibpult.
»Wie geht es nun weiter?« Mergh eilte zu ihm und griff nach seiner Hand.
»Die Bürgermeister stehen unter Arrest und dürfen ihre Häuser nicht mehr verlassen.«
»Was?« Mergh sah ihren Sohn ungläubig an. »Aber das ist unmöglich. Man darf doch nicht die obersten Häupter der Stadtregierung unter Arrest stellen, nur weil das niedere Volk den Hals aufreißt.«
»Es ist nicht nur das niedere Volk. Die 44er, allen voran Gülich, haben die Inhaftierung ebenso gefordert. Ihr Wort hatte bei der Sitzung durchaus Gewicht. Der Magistrat fühlt sich in die Enge getrieben.«
»Sind etwa die 44er plötzlich die Stimme des Volkes?« Mergh griff mit zitternden Händen nach dem Weinpokal und nahm einen tiefen Schluck.
»So ist es wohl. Dieser Rebell Gülich hat sich offenbar dazu ernannt. Aber wartet ab! Das wird ein Nachspiel haben, glaubt mir. Ein Schreiben ist bereits auf dem Weg zu Kaiser Leopold. Köln ist zwar eine freie Reichsstadt, aber das bedeutet nicht, dass hier der Willkür des Pöbels Tür und Tor geöffnet sind.«
Mergh gab einen kehligen Laut von sich. »Na, dann wird der Kaiser sicher ein Auge auf die Geschichte haben.« Zuversichtlich hielt sie Gotthardt den Pokal hin und ließ sich erneut Wein einschenken.
Iven hatte recht. Irgendetwas ging auf dem Hof nicht mit rechten Dingen zu.
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