Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Die Speisen für die Siechen fielen von Tag zu Tag magerer aus. Trotzdem hatte die Krähe von Verwalterin ordentlich Fett angesetzt. Gedankenverloren stieg Alena die Treppen zu Theres’ Kammer hinauf.
Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, bot sich ihr ein erbärmlicher Anblick. Die kleine Sophie hatte sich an Theres’ Warzen festgesaugt und strampelte, als kämpfte sie um ihr Leben. Theres selbst starrte mit verschleiertem Blick zur Decke. Der Gestank von Fäkalien waberte durch den Raum. Es dauerte nicht lange, und die kleine Sophie war es leid. Aus voller Kehle schrie sie ihren Hunger hinaus in die Welt.
Alena traten Tränen in die Augen. Sie nahm das Kind aus Theres’ Armen, öffnete ihr Mieder und legte die Kleine an.
»Danke«, hauchte Theres.
Seufzend ließ Alena sich auf der Bettkante nieder. »Was hast du heute gegessen?«
»Nichts.«
»Das geht nicht, Theres. Das weißt du doch.«
»Niemand hat mir etwas gebracht. Mir fehlt die Kraft, um aufzustehen.« Theres’ kalte Hand legte sich auf Alenas Arm.
»Sobald die Kleine satt ist, bringe ich dir etwas zu essen.«
»Bitte, du musst vorher das Kind saubermachen und mich auch. Ich bitte dich. Sonst bekomme ich nichts hinunter.« Theres kämpfte mit den Tränen und wandte den Blick ab.
»Du brauchst dich nicht zu schämen.« Alena griff nach ihrer Hand. »Ich mache das schon.«
Alena brachte die beschmutzte Bettwäsche in das Waschhaus. Es hatte sie nicht viel körperliche Kraft gekostet, die magere Theres zu waschen und neu zu betten. Seelisch fühlte sie sich jedoch ausgelaugt. Es war so traurig, zu sehen, wie die junge Mutter dahinsiechte. Alena durfte gar nicht daran denken, dass Iven womöglich das gleiche Schicksal bevorstand.
Sie ließ sich auf dem Schemel neben dem Waschzuber nieder und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ein endloses Auf und Ab begleitete sie auf dem Hof. Um ihrem schweren Herzen Luft zu verschaffen, ließ sie den Tränen freien Lauf. Nach einer Weile spürte sie, wie die Last von ihr wich. Nicht immer verlief die Krankheit wie bei Theres. Fyen und Bloitworst ging es noch gut. Sie musste unbedingt den Glauben an das Gute zurückgewinnen, sonst würde sie zerbrechen.
Alena wischte sich mit dem Ärmel über die Wangen und erhob sich von dem Schemel. Theres brauchte etwas zu essen. Um die Wäsche konnte sie sich später noch kümmern.
Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, als Alena vor das Waschhaus trat. Ihr Blick fiel zu dem Tor des Hofes. Ein Mädchen trat soeben hindurch. Gekleidet in die Tracht einer Magd, leuchteten Haube und Schürze so rein wie Schnee. Alena schloss die Augen und schluckte. Das war doch nicht möglich!
»Leni!«, rief da schon eine Stimme, die ihr sehr vertraut war. Unter Alenas Füßen schwankte der Boden. Kurz darauf fand sie sich in Ännis Armen wieder. Tränen strömten über ihre Wangen.
»Scht, ich bin ja da. Endlich habe ich dich gefunden!« Ännis Finger hatten sich in Alenas Haar gegraben. »Was machst du nur für Sachen, Leni?«
»Ich muss mich setzen.« Alena glaubte, nicht mehr länger auf ihren zitternden Beinen stehen zu können.
Änni führte sie zu dem Mauervorsprung.
»Wie hast du mich gefunden?« Alena konnte immer noch nicht fassen, dass Änni leibhaftig neben ihr saß.
»Du glaubst nicht, was geschehen ist.« Die Freundin wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Gotthardt hat tatsächlich behauptet, du wärest bei der Geburt gestorben. Abend für Abend habe ich zum Himmel geschaut. Doch es gab keinen Stern, der deinen Namen trug.« Änni stieß einen tiefen Seufzer aus. »Glaube mir, ich lasse mich nicht für dumm verkaufen. Seiner Mutter konnte er das Lügenmärchen vielleicht auftischen, aber mir nicht. Unter dem Holzkreuz auf dem Kirchhof liegen deine Knochen jedenfalls nicht.«
»Ich habe ein Grab?« Ein eiskalter Schauer jagte über Alenas Rücken.
»Ein recht schäbiges sogar. Unmittelbar an der Friedhofsmauer.« Änni schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Die Erde ist so fest, wie sie es bereits vor hundert Jahren war. Ich glaube, Mergh war nicht ein einziges Mal dort. Sonst hätte sie sehen müssen, dass die Erde nicht frisch aufgeschüttet war.«
»Das passt zu dem dummen Brauereipferd.« Alena spürte trotz ihres Elends eine tiefe Erleichterung. Immerhin lag sie nicht unter der kalten Erde.
»Nachdem ich zufällig hörte, wie Gotthardt seiner Mutter von deinem Tod berichtete, wollte ich nicht mehr in deinem Haus arbeiten. Aber irgendetwas hat
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