Die Magd von Fairbourne Hall
Herz begann zu rasen. Die Frau, die gerade vorbeigegangen war – sie hatte die Stimme des neuen Hausmädchens gehabt. Doch das Gesicht war das der Frau, die seine Träume heimsuchte. Margaret Macy.
Es konnte nicht sein … Er sank auf die Treppenstufen; plötzlich schwitzte er stark. Er war durcheinander, völlig erschöpft und verlor ganz offensichtlich gerade den Verstand. Die Aufregung mit dem Feuer, der Verlust des halben Jahresgewinns, die Schulden. All das forderte seinen Tribut und jetzt hatte er Halluzinationen und glaubte, in dem Gesicht eines der Hausmädchen das Gesicht von Miss Macy zu erkennen.
Er schüttelte den Kopf, um klarer sehen zu können und wieder zu sich zu kommen. Lieber Gott im Himmel, hilf mir . Das Bild schien in sein Hirn gebrannt, unauslöschlich. Das ovale Gesicht mit dem prägnanten Kinn, vom Handtuch umgeben. Ein Gesicht, so jung und unschuldig, ohne den Puder und das Rouge, die sie auf dem Ball trug, als er sie zuletzt gesehen hatte. Die blauen Augen, die ihn weit geöffnet und angstvoll ansahen!
Nein! Er bildete sich Dinge ein. Das neue Hausmädchen war Hudson auf den Londoner Docks zu Hilfe gekommen. Hudson hatte sie auf einem Stellenmarkt in Maidstone wiedererkannt und ihr aus Dankbarkeit eine Stellung angeboten. Dieses Mädchen kleidete sich weder wie eine Macy noch sprach sie wie eine. Außerdem hatte sie dunkles Haar, es sei denn, sie hatte es gefärbt. Und sie war ein Hausmädchen, um Himmels willen, und noch nicht einmal ein gutes, vermutete er. Die stolze, hochnäsige Margaret Macy hätte sich nie so weit herabgelassen, irgendwo in Stellung zu gehen. Außerdem hätte er sie natürlich sofort erkannt.
Oder vielleicht nicht? Er hatte das neue Hausmädchen nie wirklich angesehen – wie im Übrigen keines der Hausmädchen, bis er befürchten musste, dass er eines von ihnen geküsst hatte. Und sie wiederum taten ihr Bestes, ihm aus dem Weg zu gehen. Wenn er ehrlich war, hatte er sich als junger Mann den Dienstboten viel zu überlegen gefühlt, um auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden. Seit der Veränderung, die er durchgemacht hatte, hielt er sich nicht mehr für besser als die Menschen, die für ihn arbeiteten. Doch das veränderte nicht auf einen Schlag alle Verhaltensweisen, die man ihm seit seiner Kindheit eingetrichtert hatte – wie die Tatsache, dass er das neue Hausmädchen bis jetzt kaum angeschaut hatte, bewies.
Wie seltsam, dass er Miss Macys Gesicht auf das neue Hausmädchen projiziert hatte. Er brauchte dringend mehr Schlaf. Er musste inbrünstiger beten, dass Gott sein Herz heilte und ihm half, über sie hinwegzukommen. Aber eigentlich hatte er gedacht, dass es ihm gelungen war, jedenfalls weitgehend. Die Rückkehr nach London und ihr Anblick – so flüchtig er auch gewesen war – hatte die Erinnerung an sie wahrscheinlich wieder aufleben lassen. Ein dummer, ärgerlicher Zufall, weiter nichts.
Er stand auf und wünschte, es wäre nicht so spät. Kurz war er versucht, Hudson aufzuwecken und Revanche für die Niederlage beim Fechten am Morgen zu verlangen. So eine Fechtrunde schien immer zu helfen. Er hatte das Gefühl, im Moment zwanzig Runden vertragen zu können.
Nathaniel beschloss, sie nicht mehr anzuschauen und erneut zu riskieren, irgendeine trügerische Ähnlichkeit in ihrem Gesicht zu entdecken, bevor er nicht mit Hudson gefochten, gebadet, sich angezogen, in der Bibel gelesen, gebetet und noch einmal gebetet hatte. Erst dann wäre er bereit, sie anzusehen. Um festzustellen, dass sie nur ein Hausmädchen aus einem der weniger vornehmen Londoner Viertel war. Vielleicht die Tochter eines Fischhändlers. Oder auch eine Kaufmannstochter, denn ihre Ausdrucksweise verriet trotz des Akzents das Vokabular und die Syntax einer gebildeten Frau. Er würde herausfinden, wer sie war, und erleichtert sein, dass mit seiner geistigen Gesundheit alles in Ordnung war. Empfand er da vielleicht einen winzigen Stich der Enttäuschung darüber, dass sie nicht Miss Macy war? Lächerlich !
Stahl traf auf Stahl vor der Gartenmauer, wo die beiden Männer in der langen Arkade fochten, eingeengt durch die Säulen. Hudson versuchte, Nathaniels Ausfall zu parieren, doch dieser trieb ihn immer weiter zurück, immer näher ans Ende der Arkade. Schließlich traf die Spitze ihr Ziel und Hudson griff sich bestätigend an die Brust.
»Touché«, keuchte er.
Nathaniel trat zurück, noch immer tänzelnd.
»Gütiger Himmel, Sir!« Hudson fuhr sich mit dem Ärmel über die
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