Die Magd von Fairbourne Hall
das Kleid aus dem Schrank und suchte ein langes Korsett dazu heraus. »Der Schnitt des Kleides käme durch die korrekte Unterkleidung sehr viel besser zur Geltung, Miss Helen. Möchten Sie es nicht einmal ausprobieren?«
Helens Gesicht verzog sich beim Anblick des beinernen Marterinstruments, doch sie fügte sich. »Na gut.«
Margaret half Helen, das braune Kleid und die formlose Unterwäsche auszuziehen und schnürte ihr dann das lange Korsett. Während Margaret die Spitzenrüsche arrangierte, betrachtete Helen sich im Spiegel. Sie wandte den Kopf zur Seite. »Und vielleicht ein Hauch Rouge?«
Noch eine Überraschung! »Aber sehr gern!« Margaret wurde von Neugier geplagt. »Darf ich fragen … ist heute ein besonderer Tag?«
Helen wurde rot. »Aber nein! Warum fragst du? Ich habe heute nichts vor außer einem Treffen mit dem Verwalter. Absolut nichts Besonderes.«
Margaret und Betty saßen in kameradschaftlicher Eintracht miteinander im Dienstbotenzimmer und polierten Silber. Die anderen hatten sich schon lange an ihre eigenen Nachmittagspflichten begeben.
Betty blickte auf und sagte: »In meiner letzten Stellung hat der Butler das Silber geputzt.«
»Wirklich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mr Arnold sich die Hände mit Silberputzmittel schmutzig macht.«
Betty schnaubte. »Ich auch nicht und dabei ist er nur ein Zweiter Butler.«
Während sie arbeiteten, betrachtete Margaret Bettys sommersprossige Hände. Sie waren von dicken Adern durchzogen und abgearbeitet und wirkten älter als ihr übriger Körper. Margaret hoffte, dass ihre Hände nach drei Monaten Arbeit nicht genauso aussahen.
Betty war wahrscheinlich alt genug, um ihre Mutter zu sein, doch sie hatten beinahe die gleiche Position. Sie überlegte, wie Betty das wohl sah.
»Wie lange bist du schon Hausmädchen, Betty?«, fragte sie.
Betty legte eine Silbergabel hin und nahm die nächste auf. »Oh, ich bin jetzt ungefähr fünfzehn Jahre hier. Und davor war ich elf Jahre bei den Langleys. Ich habe als Spülmädchen angefangen, als ich fast noch ein Kind war, dann wurde ich zum Küchenmädchen befördert, dann zum Hausmädchen. Gott sei Dank war ich nie Waschfrau!«
»Und was ist dein Traum?«
»Traum?«
»Was wünschst du dir vom Leben?«
»Pffff!« Bettys Hände waren unablässig in Bewegung, während sie sprach. »Nur die wenigsten Menschen bekommen, was sie sich im Leben wünschen, das ist nun einmal so. Sieh dir doch Fiona an.«
Margaret blickte auf. »Fiona? Was ist denn mit Fiona?«
»Egal. Ich glaube nicht, dass irgendein kleines Mädchen davon träumt , wie du es nennst, ihr Leben lang als Küchenmädchen zu arbeiten, oder?«
»Aber was würdest du tun, wenn du könntest?«
Betty schürzte die Lippen. »Nora. Ich habe nichts dagegen, ein wenig zu plaudern, um die Zeit herumzubringen, aber es ist dumm, sich nach der Vergangenheit zurückzusehnen oder von etwas Unmöglichem zu träumen. Ich bin ganz zufrieden. Ich bin Dienstmädchen, seit ich vierzehn bin. Etwas anderes kann und will ich nicht. Wie gesagt, ich bin zufrieden.«
Obwohl sie freundlich gesprochen hatte, fühlte Margaret sich zurechtgewiesen. »Ich bin froh, dass du es so siehst «, murmelte sie und konzentrierte sich auf ein weiteres Buttermesser.
Betty benetzte mehrere Vorlegelöffel mit Silberputzmittel. Sie arbeitete konzentriert und geschickt; das Thema war anscheinend vergessen.
Doch kurz darauf sagte sie plötzlich: »Etwas gäbe es da aber doch.«
Margaret blickte auf, unsicher, wovon sie sprach.
»Eines würde mich doch freuen.« Betty konzentrierte sich immer noch auf die Löffel.
»Und das wäre?«
»Ich möchte irgendwann Haushälterin sein. Das ist die oberste Sprosse auf der Leiter, weißt du? Und wenn ich die erreiche, dann weiß ich, dass ich mein Bestes gegeben habe. Ich wäre stolz darauf, die Chatelaine meiner Mutter zu tragen, schwer von Schlüsseln, und würde von den Dienstboten und von der Herrschaft gleichermaßen respektiert.«
Margaret grinste. »Du meinst, du könntest alle Mädchen das Fürchten lehren, wenn sie das Klirren deiner Schlüssel hören.«
Auf Bettys Wange erschien ein Grübchen. »Das auch.«
»Ich werde Mrs Budgeon sagen, dass sie aufpassen soll«, neckte Margaret sie.
»Untersteh dich!«
»Keine Angst, Betty. Ich verrate ihr nicht, dass du hinter ihrem Job her bist!«
Betty warf ihr einen schiefen Blick zu und machte sich an die Fischgabeln.
Margaret sagte: »Ehrlich, ich glaube, du wärst eine ausgezeichnete
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