Die Magd von Fairbourne Hall
erinnern; allerdings hatte sie sie nur ein- oder zweimal gesehen. Hinter den beiden stand eine matronenhafte Begleiterin, die Margaret nicht kannte.
»Und hier haben wir die Porträts von drei Generationen Upchurch-Männern: Lambert, Henry und James.«
Die Haushälterin trat beiseite und wies mit einer geradezu königlichen Geste auf zwei weitere Gemälde: »Und dies sind Porträts der Söhne von James Upchurch: Lewis und Nathaniel. Beide Bilder wurden anlässlich des einundzwanzigsten Geburtstags der jungen Herren in Auftrag gegeben.«
Die matronenhafte Anstandsdame deutete auf die andere Seite der Halle und fragte schüchtern: »Mrs Budgeon, darf ich Sie nach dieser schwarzen Urne fragen? Ein schönes Stück, höchst außergewöhnlich.«
»Äh …« Mrs Budgeon blätterte eilig eine Seite in ihrem Buch um. »Das ist eine Basalturne aus der Werkstatt des berühmten Josiah Wedgwood …«
Die beiden älteren Frauen gingen durch die Halle zu der Urne, um ihren Sockel zu betrachten. Die beiden jungen Damen blieben stehen und blickten zu den Gemälden von Lewis und Nathaniel Upchurch hinauf.
Emily sagte: »Lewis Upchurch sieht wahnsinnig gut aus, nicht?«
»Welcher ist das?«, fragte ihre Cousine mit der hohen Stimme.
»Der Linke natürlich.«
»Ich weiß nicht …«, meinte die Cousine. »Mir gefällt das Gesicht des anderen. Es verrät Kraft. Ich finde, er sieht ernst und männlich aus.«
»Findest du? Alle Frauen, die ich kenne, halten Lewis für den Attraktiveren. Aber er ist natürlich der Ältere und der Erbe, das trägt sicher mit zu seiner Anziehungskraft bei.« Emily kicherte und ihre Cousine lächelte verbindlich.
»Stell dir vor, der jüngere Mr Upchurch hat meiner Freundin Margaret einen Heiratsantrag gemacht und sie hat abgelehnt, so hingerissen war sie von seinem älteren Bruder.«
»Und – hat der Ältere dann um ihre Hand angehalten?«
»Nein.« Emily seufzte. »Das hätte ich ihr gleich sagen können. Aber sie hätte sowieso nicht auf mich gehört.«
Es gab Margaret einen Stich, als ihre Freundin das sagte.
»Hat man denn irgendetwas von ihr gehört?«
Emily schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«
Margaret war überrascht, dass ihre Mutter offenbar niemandem von dem Brief erzählt hatte, den sie ihr geschrieben hatte. Hoffentlich hatte sie ihn überhaupt bekommen.
»Was ist aus ihr geworden – was meinst du?«
Emily zuckte die schmalen Schultern. »Manche glauben, sie sei durchgebrannt, aber dann hätte man doch inzwischen von einer Hei rat gehört.«
Ihre Cousine lächelte affektiert. »Wenn es Marcus Benton wäre, würde ich bestimmt nicht weglaufen, das kannst du mir glauben! Stimmt es, dass sie verlobt sind?«
»Das glaube ich eigentlich nicht. Margaret hat immer gesagt, dass sie ihn nicht leiden kann.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Hast du ihn letzte Woche bei Almacks mit dieser pferdegesichtigen Amerikanerin tanzen sehen? Mir ist unklar, wie sie es geschafft hat, an den Schirmherrinnen vorbeizukommen!«
»Ich bin überrascht, dass Mr Benton überhaupt gekommen ist, wo Margaret doch verschwunden ist.«
»Vielleicht ist sie ja gar nicht verschwunden.«
Emily sah sie verständnislos an. »Wie meinst du das?«
»Vielleicht musste sie ja verschwinden, verstehst du?«
»Nein, absolut nicht.«
»Um einen bestimmten … Zustand zu verbergen.«
Als Margaret klar wurde, wovon die junge Frau sprach, wurde ihr übel.
»Nicht Margaret.« Emily runzelte die Stirn und legte nachdenklich den Kopf schief. »Obwohl, sie hat schon gern geflirtet und könnte den Kopf verloren haben …«
»Mit Marcus Benton?«
»Nein, mit dem nicht.« Emily betrachtete noch einmal die Porträts. »Aber Lewis Upchurch ist ein berüchtigter Herzensbrecher.«
»Und je mehr Zeit vergeht, ohne dass wir etwas von einer Heirat hören …«
Margaret wäre am liebsten in die Halle gelaufen und hätte den beiden jungen Frauen den Kopf zurechtgerückt. Aber ihr Erscheinen hätte einen größeren Skandal erregt als den, den sie dadurch hätte beschwichtigen können.
Vielleicht sollte sie an Emily schreiben. Ob Sterling wohl Zugriff auf die Post der Lathrops hatte und sie genauso kontrollierte wie die Briefe in seinem eigenen Haus? Auf jeden Fall musste sie etwas unternehmen. Im Moment sah es so aus, als hätte ihr Versuch, ihre Tugend zu schützen, den völligen Ruin ihres Rufs zur Folge gehabt.
Als die kleine Gruppe weiterging und die Halle wieder leer war, blieb Margaret noch im Raum. Sie
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