Die Magd von Fairbourne Hall
hinaus. Aus dem Cottage. Sie musste Linton Grange verlassen. Nicht einmal ein Zeugnis haben sie ihr gegeben. Schließlich hat mein Onkel ihr heimlich eins geschrieben. Er hat mir die Geschichte erzählt und ich habe hier ein gutes Wort für sie eingelegt. Mrs Budgeon hat mir vertraut und sie eingestellt.«
»Arme Fiona.«
Betty nickte und machte sich wieder ans Schrubben. »Ich habe nie bereut, dass ich mich für sie verbürgt habe. Sie kann richtig zupacken und hat trotz allem ein gutes Herz. Es dauert ein Weilchen, bis sie Vertrauen gefasst hat, aber dann ist sie sehr loyal. Und wenn sie ein wenig verbittert ist …nun, dann weißt du jetzt, warum.«
Margaret schüttelte den Kopf. »Das ist einfach nicht richtig.«
»So ist das Leben für so manches Dienstmädchen, Nora. Hüte dich vor den Männern, auch vor denen, die sich als Gentleman bezeichnen!«
Einen Moment lang schrubbte Margaret unaufmerksam weiter und dachte über das nach, was Betty ihr erzählt hatte. Dann sagte sie: »Ich bin überrascht, dass Fiona das Kleid getragen hat. Sie musste doch wissen, dass wir uns wundern …«
»Nora.« Bettys Stimme klang warnend. »Wenn du es wagst, auch nur ein Wort davon zu sagen, dass ich es dir erzählt habe, kriegst du eine Ohrfeige!«
»Schon gut! Ich schweige wie ein Grab!« Margaret zuckte zusammen, weil ihr die Knie so wehtaten. »Geheimnisse dieser Art sind bei mir bestens aufgehoben.«
Am Nachmittag desselben Tages trottete Margaret die Hintertreppe hinunter, ihren Putzmittelkasten in der Hand. Sie war mit den Gesellschaftsräumen und den Schlafzimmern fertig und sollte jetzt Mrs Budgeons Zimmer im Souterrain putzen. Sie ging gerade über den Flur in den Anrichtraum, als sie das Klirren von Schlüsseln hörte. Normalerweise war das Klirren von Mrs Budgeons eindrucksvollem Schlüsselbund für alle ein Signal, um schneller zu arbeiten beziehungsweise, um mit dem Tratschen aufzuhören und weiterzuarbeiten. Doch heute war der vertraute Klang von einem weniger vertrauten untermalt – Mrs Budgeon erhob die Stimme nicht zu einem Tadel oder einem Befehl, sondern zu einem Vortrag, der eines Museumskurators würdig gewesen wäre. Margaret drehte sich um und lauschte.
»Fairbourne Hall wurde im Jahr 1735 von Lambert Upchurch und seiner Ehefrau, Katherine Fairbourne Upchurch, vollendet. 1760 fügte sein ältester Sohn, inspiriert von der italienischen Architektur, die er auf seiner Bildungsreise durch Europa gesehen hatte, eine überdachte Arkade hinzu …«
Margaret wurde klar, dass Mrs Budgeon ein paar Besuchern, die sich wahrscheinlich die Grafschaft Kent ansahen, das Haus zeigte. Sie wusste, dass diese Aufgabe auf den alten, vornehmen Anwesen in Großbritannien zur Pflicht der Haushälterinnen gehörte und fand es seltsam rührend, Mrs Budgeon in dieser Rolle zu erleben. Sie sprach in einer so gewählten Sprache und mit so offensichtlichem Stolz über das Haus und seine Erbauer, als gehörte sie selbst zur Familie. Margaret überlegte, was sie wohl als Entlohnung für ihre Mühe erhielt.
Sie verbarg sich weiter im Anrichtraum und lauschte.
»Im Salon befinden sich weitere Familienporträts, aber erlauben Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit zunächst auf ein paar Bilder hier in der Halle zu richten.«
Eine hohe, affektierte Stimme fragte: »Stimmt es, dass die Familie Upchurch ihr Vermögen mit dem Zuckeranbau auf den Westindischen Inseln gemacht hat?«
»Dorcas!«, flüsterte jemand tadelnd. Schließlich sprach eine Lady nicht in der Öffentlichkeit über Geld.
»Die Upchurches besitzen seit über hundert Jahren eine Zuckerrohrplantage auf Barbados«, antwortete Mrs Budgeon. »Mr James Upchurch, das gegenwärtige Oberhaupt der Familie, lebt zurzeit dort.«
»Und wer lebt dann hier?«, fragte eine andere junge Frau.
Die Stimme kam Margaret bekannt vor – angenehm bekannt. Emily Lathrop … was machte sie hier?
Mrs Budgeon antwortete: »Seine erwachsenen Kinder – seine Tochter Helen und seine Söhne Lewis und Nathaniel. Lewis hält sich allerdings häufig in London auf.« Danach fuhr die Haushälterin mit ihrem Vortrag fort.
Margaret schlich leise zur Tür des Anrichtraums und spähte um die Ecke, während Mrs Budgeon die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörerschaft auf verschiedene Gemälde in der Eingangshalle lenkte. Sie sah ihre alte Freundin Emily, die ehrfürchtig Mrs Budgeons Ausführungen lauschte.
Neben ihr stand ein weiteres junges Mädchen, eine etwa gleichaltrige Cousine, meinte Margaret sich zu
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