Die Magd von Fairbourne Hall
besprach. Was hatte er sich nur dabei gedacht, ihr zu gestehen, was zwischen ihm und Margaret gewesen war? Doch dann überwand ihre Frage die Barriere seines Schamgefühls und setzte sich in seinem Kopf fest.
Hatte er es ihr gesagt? Er zermarterte sich den Kopf. Sie musste es doch wissen! Wenn er daran dachte, was er alles gesagt hatte, wie er sie angesehen und berührt hatte und ihr angeboten hatte, sie zu heiraten … aber hatte er ihr je gesagt, dass er sie liebte?
»Nicht ausdrücklich«, gab er zu. Was war er doch für ein Trottel!
Helen verdrehte die Augen und flehte im Stillen um Geduld. »Nathaniel Aaron Upchurch. Was soll ich nur mit dir machen?«
»Wenn es nach dir ginge, sollte ich wahrscheinlich ein Sonett für sie schreiben oder ähnlichen Unsinn.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, an Liebesgedichten liegt mir nichts. Sag ihr einfach, was du empfindest. Sag ihr die Wahrheit.«
Er nickte und dachte an all das, was er hätte sagen sollen.
»Nun?«, fragte sie mit hochgezogenen Brauen.
Nathaniel zögerte. »Was, nun?«
Helen warf ihm ein Kissen an den Kopf. »Geh hin und sag es ihr!«
Nathaniel wich dem Kissen aus und wandte sich zur Tür.
»Ach ja«, begann Helen, »und sag ihr, ich brauche sie, um ….«
Nathaniel blieb stehen, die Hand auf der Klinke.
Helen seufzte. »Ich glaube, in dieser Hinsicht muss ich in Zukunft auf sie verzichten. Meine Güte, ist das schade! Mein Haar hat noch nie so gut ausgesehen wie jetzt!«
Sie winkte ihm zu und scheuchte ihn aus dem Zimmer.
Nathaniel ging zuerst nach unten in die Gesellschaftsräume, wo Mar garet gewöhnlich um diese Uhrzeit arbeitete, doch er sah sie nirgends. Also stieg er noch einmal die verbotene Hintertreppe zum Dachgeschoss hinauf. Wenn sie dort auch nicht war, würde er sich ins Dienstbotenzimmer wagen müssen. Vor ihrem Zimmer blieb er stehen und klopfte an, doch es kam keine Antwort. Bei seinem leichten Klopfen hatte die Tür sich quietschend geöffnet; sie hatte sie nicht einmal geschlossen.
Zögernd stieß er sie weiter auf. »Margaret? Ich binʼs.«
Schweigen.
Er trat ein und sein Herz wurde bleischwer. Das Bett war abgezogen. Am Waschtisch hing kein Handtuch, am Haken keine Ersatzschürze. Das Zimmer war leer. Tot.
Sie war fort.
Er ging wieder hinunter, erst langsam, dann schneller, in der Hoffnung, sie vielleicht unten noch einzuholen.
Hudson winkte ihm, als er über den Flur zur Anrichte ging; er wirkte besorgt. »Ich wollte Sie gerade suchen, Sir. Ich habe eine Nachricht für Sie. Von Nora.«
Er reichte Nathaniel ein versiegeltes Blatt Papier. »Das lag in ihrem Brief an Mrs Budgeon und mich. Es ist an Sie adressiert.«
»Verdammt«, murmelte Nathaniel und schloss verzweifelt die Augen. Er nahm den Brief mit in die Bibliothek und las ihn dort, allein.
Lieber Mr Upchurch,
hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich Fairbourne Hall verlasse und nach London zurückkehre. Ich weiß, dass das nach unserem letzten Gespräch verwirrend für Sie sein muss, aber ich hoffe, dass Sie, wenn Sie in Kürze überraschende Neuigkeiten über mich hören, nicht das Schlimmste von mir denken.
Ich möchte Ihnen danken, dass Sie mich so lange unter Ihrem Dach wohnen ließen, auch als Sie schon längst wussten, dass ich dort nichts zu suchen hatte. Ich habe sehr viel gelernt in dieser Zeit. Ich habe gelernt, dass zu meiner langen Liste von Fehlern auch die Neigung gehört, Menschen nach dem ersten Eindruck zu beurteilen – falsch zu beurteilen. Und ich habe noch mehr gelernt. Ich habe Ihre Schwester lieben, Ihren Bruder verstehen und Sie – ich muss es Ihnen einfach sagen – bewundern gelernt. Ich war ein albernes, hohlköpfiges Mädchen, als ich Ihren Antrag vor zwei Jahren abgelehnt habe. Inzwischen bin ich klüger geworden und habe gelernt, was es heißt, etwas zu bereuen. Der Fehler von damals lässt sich nicht wiedergutmachen, auch nicht durch Reue – aber ich wollte, dass Sie es wissen.
Ich wünsche Ihrer ganzen Familie von Herzen Gesundheit und Glück.
M.E.M.
P.S. Ihr Mr Hudson ist ein Schatz. Ich hoffe, Sie geben ihm und Miss Helen Ihren Segen.
Sein Herz klopfte heftig. Unregelmäßig. Wohin war sie gegangen, was hatte sie getan? Was hatte er nur angerichtet? Warum hatte er ihr seine Gefühle und Hoffnungen nicht offenbart? Warum hatte er ihr nicht versprochen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um ihr zu helfen? Er hatte sie in dem Glauben gelassen, dass sie Sterling Benton allein gegenübertreten
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