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Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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der Welt klopfte um diese Uhrzeit? London war einfach ein lauter Ort. Margaret würde sich sich nie daran gewöhnen können, in einer so großen, geschäftigen Stadt zu leben. Seit sie in Sterling Bentons Haus wohnte, schlief sie nicht mehr gut. Sie war kaum eingeschlafen und nun wurde sie schon von einem Klopfen geweckt. Sie drehte sich um und war gerade dabei, wieder einzuschlafen, da ertönte das Klopfen wieder, diesmal noch lauter. Sie zog das schlaffe Kopfkissen unter ihrer Wange hervor und legte es sich über den Kopf. Ich muss schlafen …
    »Aufstehen, du faule Langschläferin!«
    Warum belästigte Joan sie? Es konnte doch noch nicht Morgen sein und Margaret schlief oft ziemlich lange, vor allem, wenn sie am Abend zuvor ausgegangen war.
    Die Tür öffnete sich quietschend.
    »Lass mich«, murmelte sie.
    Ihre Bettdecke wurde weggerissen und die kalte Morgenluft prickelte auf ihrem Körper. Sie rollte herüber, um ihre Peinigerin anzusehen, und wollte gerade anfangen, Joan eine Standpauke zu halten. »Was fällt dir eigentlich ein?«
    Sie erstarrte. Das Kerzenlicht fiel nicht auf Joans Gesicht, sondern auf das einer Fremden. Das Bett, das Zimmer waren nicht ihre. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was? Wo …?
    Die Frau starrte sie an, fassungslos über ihr hochfahrendes Benehmen. Voller Entsetzen erinnerte Margaret sich wieder an alles. Sie war nicht mehr in London.
    Plötzlich schien London das sehr viel erträglichere Schicksal.
    »Ich … ich habʼ geträumt«, murmelte sie und versuchte, den Akzent ihrer lieben alten Haushälterin zu imitieren. »Ich dachte, Sie wä­ren mein … jemand anders.«
    »Ich bin das Erste Hausmädchen hier auf Fairbourne Hall«, sagte die Frau und rümpfte entrüstet die Nase. »Und ich bin es nicht gewöhnt, so angefahren zu werden.«
    Das Erste Hausmädchen war eine kleine, untersetzte Frau mittleren Alters. Ihre Augen- und Haarfarbe waren in dem flackernden Licht nicht richtig zu erkennen, doch nach dem Weißen in ihren Augen zu schließen, ruhte ihr Blick ausgiebig auf Margarets Korsett und Hemdchen. Viel zu fein für ein Hausmädchen. Zum Glück hatte sie die Perücke offenbar noch nicht bemerkt und die blonden Haare hoffentlich auch nicht.
    »Ich heiße Betty Tidy, aber du darfst mich beim Vornamen nennen.«
    »Betty Tidy ?« 1
    »Was amüsiert dich daran, Nora?«
    Stimmt ja , dachte sie, ich bin Nora . »Nur der Name Tidy. Für ein Hausmädchen.«
    Betty runzelte die Stirn. »Es gibt viele Tidys in dieser Gegend. Es ist ein höchst respektabler Familienname.«
    »Ich wollte nicht respektlos sein, Betty.« Margaret verbiss sich ein Grinsen. »Im Gegenteil, ich finde den Namen perfekt. Jedes Hausmädchen sollte so heißen.«
    Betty schnaubte und ging zur Tür. »Du hast fünf Minuten, um dich anzuziehen.«
    Fünf Minuten? So gesehen war es wahrscheinlich ein Glück, dass Margaret ihr Korsett nicht hatte ausziehen können, denn sie hätte es nicht einmal in fünf Stunden, geschweige denn in fünf Minuten wieder anziehen können. Sie wusch sich hastig das Gesicht und wischte sich rasch mit einem feuchten Tuch unter den Armen ab, um den Schweiß von gestern zu entfernen. Dann trat sie in ihr Kleid, band es zu, zog es über die Schulter und drehte es nach hinten. Sie band sich die Schürze um, kämmte sich, steckte das Haar hoch und setzte die Brille ihres Vaters auf. Zum Schluss stülpte sie sich die Perücke über den Kopf und sah kurz in den kleinen Spiegel über der Kleidertruhe, um zu prüfen, ob die blonden Haare auch wirklich bedeckt waren, bevor sie sich die Haube aufsetzte. Sie war froh, dass die Haube die Beule verbarg, die ihr eigenes Haar unter der Perücke bildete.
    Im Flur traf sie auf Betty und folgte ihr eine Treppe hinunter zur Putzkammer der Hausmädchen, aus der sie zwei mit Griffen versehene Holzkisten mit Putzutensilien holten. Dann stolperte sie mit feuchten Händen hinter Betty her ins Erdgeschoss und durch einen Wintergarten in den Salon. Ob sie den Pflichten eines Hausmädchens wirklich gewachsen sein würde?
    »Zuerst öffnen wir die Fensterläden …«
    Das konnte sie. Margaret ging zum nächsten Fenster, entriegelte die Läden und klappte sie zurück. In dem Morgenlicht, das he­reinfiel, sah sie, dass das Erste Hausmädchen kastanienbraunes Haar, blaue Augen und mädchenhafte Sommersprossen hatte. Sie ging hinter Betty her in alle Zimmer und lernte die morgendliche Routine kennen – Kamine säubern, Teppiche reinigen, Staub wischen und die

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