Die Magd von Fairbourne Hall
die Halle. Margaret spürte, wie ihr Magen sich zuschnürte, und trat ein wenig hinter den hochgewachsenen Koch.
Mr Upchurch hielt ein schwarzes Buch in der einen Hand; sein anderer Arm lag noch immer in einer Schlinge. Über dem einen Auge trug er eine Bandage, die sie von Neuem an die Augenklappe eines Piraten erinnerte. Sie überlegte, wie schwer er wohl verletzt war und warum er unbedingt eine Andacht abhalten wollte, wenn er sich doch gerade erst von einer Verletzung erholte. Wie ernst er aussah! Da erinnerte nichts mehr an den wütenden, langhaarigen Rüpel, der auf dem Ball in Mayfair eine Prügelei angefangen hatte. Der Bart war weg, das Haar ordentlich frisiert, die abenteuerliche Aufmachung war der Kleidung eines Gentlemans gewichen: Überrock, Weste, Krawatte.
Zögernd reichte Mr Upchurch das Buch Hudson, der hinter ihm stand. Dann klopfte er mit seiner gesunden Hand seine Taschen ab, doch offenbar vergeblich. Suchte er vielleicht seine Brille? Früher hatte er immer eine getragen. Plötzlich sagte er leise etwas zu Mr Hudson. Dieser schlug das Buch an einer Stelle auf, die mit einem kleinen Papierstreifen gekennzeichnet war, und gab es ihm dann zurück.
Mr Upchurch warf einen flüchtigen Blick auf die vor ihm versammelte Gruppe. Helen Upchurch neben ihm lächelte alle an.
Margaret duckte sich.
»Guten Morgen.« Mr Upchurch räusperte sich, blinzelte auf das Buch hinunter und las: »Aus dem ersten Petrusbrief: ›Ehrt jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehrt den König!‹« Er blätterte um. »›Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den wunderlichen.‹«
Margaret spürte, wie die anderen, die um sie herumstanden, ganz steif wurden. Ein frecher Lakai murmelte etwas, das sie zum Glück nicht verstand.
Fiona schnaubte. »Wie passend!«
Margaret zischte ihr, ohne nachzudenken, zu, dass sie schweigen solle, woraufhin die Irin sie überrascht ansah.
Mr Upchurch schob sich das Buch unter den Arm und senkte den Kopf. »Herr, hilf uns, dir heute gut zu dienen, an welchen Platz du uns auch immer gestellt hast. Amen.« Dann entließ er die Leute mit einem Nicken und drehte sich um.
Seine Schwester warf ihnen noch ein, wie es Margaret vorkam, entschuldigendes Lächeln zu, vielleicht in der Hoffnung, seine Worte etwas abzumildern. Die Dienstboten begaben sich leise murrend oder auch schweigend an ihre Arbeit. Nur Margaret blieb stehen, wo sie war.
Hatte Gott sie dazu berufen, als Hausmädchen für die Familie Upchurch zu arbeiten? Oder hatte sie einfach nur ein heilloses Kuddelmuddel aus ihrem Leben gemacht?
Nach dem Frühstück schenkte Nathaniel sich noch eine Tasse Kaffee ein, die er dann in die Bibliothek mitnahm. Hudson war schon dort, bereit für ihre Morgenbesprechung, doch ganz gegen seine sonstige Gewohnheit schwieg er. Nathaniel warf ihm über seine Tasse einen Blick zu, trank einen Schluck und stellte die Tasse dann ab. »Was ist?«
Hudson zuckte zusammen. »Ich möchte mich wirklich nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen, Sir, aber diese Schriftstelle war vielleicht nicht die allerglücklichste Wahl für die erste Morgenandacht hier im Haus.«
»Ach nein?«
»Denken Sie doch mal nach, Sir. Die Worte müssen gewirkt haben wie ein … Peitschenhieb und ganz und gar nicht wie die freundliche Ermahnung, die Sie eigentlich im Sinn hatten.«
Nathaniel schlug das Buch auf seinem Schreibtisch auf und las die Passage noch einmal durch. »Haben mich deshalb alle so mürrisch angeguckt? Es war ganz einfach der nächste Vers in meiner eigenen täglichen Lesung. Ich habe schon gemerkt, dass es nicht gut lief, aber ich dachte, es läge an meinem Vortrag. In Zukunft werde ich die Bibelstellen sorgfältiger aussuchen.«
»Ja, das ist gut.« Hudson nickte. »Dann wird es nächstes Mal bestimmt besser gehen.«
Nathaniel betrachtete seinen Verwalter. Robert Hudson war ein paar Jahre älter als er. Er stammte aus England, hatte aber viele Jahre auf See verbracht, bevor er sich auf Barbados niederließ. Dort hatte Nathaniel ihn Abel Preston, dem Nachbarpflanzer, den keiner leiden konnte, abgeworben. Als Angestellter war Hudson offen und aufrichtig und unbedingt vertrauenswürdig. Die beiden Männer hatten schnell Freundschaft geschlossen; ihr Verhältnis ähnelte eher einer Partnerschaft als der Beziehung eines Herrn zu seinem Untergebenen. Hudson hatte es nie an Respekt ihm gegenüber fehlen lassen, aber er
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