Die Magd von Fairbourne Hall
saß. Sie schauderte bei dem Gedanken, was er wohl tun mochte, wenn er sie hier entdeckte.
Der Diener öffnete die Tür und klappte das Treppchen aus.
Hudson rief herunter: »Mr Upchurch ist verletzt. Helfen Sie ihm ins Haus.«
Der Diener streckte eine Hand aus. Die Kutsche schwankte, als der Passagier ausstieg. Margaret saß ganz steif da, stur geradeaus starrend, das Gesicht abgewandt. Sie hatte Angst, dass Nathaniel Upchurch aufblickte, sie erkannte und fortschickte, noch bevor sie ihre Stelle angetreten hatte.
»Kommen Sie, Sir. Vorsichtig«, sagte der Diener.
»Ich bin kein Invalide, Mann! Lassen Sie mich los!«
»Ich will Ihnen doch nur helfen.«
Margaret riskierte einen Blick und sah, wie ein großer, dunkelhaariger Mann in zerdrückter Kleidung die Hand des Dieners abschüttelte. Um seinen Kopf lag eine Bandage und einen Arm trug er in einer Schlinge. Ein zweiter Diener kam herbeigelaufen, um zu helfen, unverhüllte Sorge im Gesicht.
Mr Hudson wandte sich an die Diener: »Bitte bringen Sie Mr Upchurch auf sein Zimmer und lassen Sie ihm ein Bad ein.«
»Ja, Sir.«
Margaret beobachtete, wie Nathaniel Upchurch auch die Hand des zweiten Dieners abschüttelte und zur Tür humpelte. Er war ganz offensichtlich nicht mehr der sanfte, geduldige Mann, an den sie sich von früher erinnerte. Plötzlich fiel ihr der beißende Blick der Verachtung wieder ein, den er ihr vor ein paar Tagen im Ballsaal zugeworfen hatte. Er hatte eine unmissverständliche Botschaft enthalten: Sie sind mir zutiefst zuwider . Wahrscheinlich würde er die Gelegenheit, sich für ihre kalte Ablehnung seines Antrags zu rächen, richtiggehend genießen.
Sie durfte auf gar keinen Fall riskieren, dass er herausfand, wer sie war.
Mr Hudson fuhr zur Rückseite des Hauses. Dort kam ein Stallknecht gelaufen und übernahm die Kutsche und die Pferde. Hudson half Margaret beim Absteigen und begleitete sie dann die Außentreppe hinunter ins Untergeschoss. Drinnen führte er sie über einen Gang zu einer verschlossenen Tür. Es dauerte ein Weilchen, bis ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Hudson bat sie zu warten und trat allein an die Zimmertür der Haushälterin.
Er klopfte. Auf ein leises »Herein« verschwand er in dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Da Margaret sonst niemand sah, ließ sie sich gegen die Wand neben der Tür sinken. Sie war völlig erschöpft von dem langen, anstrengenden Tag. Durch die geschlossene Tür hörte sie die leise, tiefe Stimme von Mr Hudson, dann Schweigen, dann eine weibliche Stimme, die Überraschung und Bedenken äußerte. Sie konnte sich nicht beherrschen und presste das Ohr an die Tür.
Eine Frau sagte: »Als Hausverwalter, Mr Hudson, haben Sie natürlich das Recht einzustellen, wen immer Sie wollen, aber ich hätte doch erwartet, dass Sie mich vorher konsultieren, zumal Sie die Position erst seit kurzer Zeit innehaben.«
Hudson gab eine beschwichtigende Antwort, doch er sprach nicht so deutlich wie die Frau, deshalb verstand Margaret nur einzelne Wörter: »London … Hilfe … Prüfung.«
Prüfung. Meinte er, dass es eine Unannehmlichkeit war, sie im Haus zu haben, oder dass sie auf Probe eingestellt wurde? Sie hörte ein tiefes Seufzen. Was auch immer er gemeint hatte, die Haushälterin war eindeutig nicht angetan von der Aussicht.
Die Tür ging auf und Mr Hudson erschien. Er machte ein grimmiges Gesicht. »Mrs Budgeon möchte Sie jetzt sehen.« Flüsternd fügte er hinzu: »Versuchen Sie, einen guten Eindruck zu machen!«
Die Frau im Zimmer war ganz anders, als Margaret erwartet hatte. Sie hatte sich jemanden vorgestellt wie die Frau, die Joan eingestellt hatte – eine strenge Matrone in schicklichem, hochgeschlossenem Kleid und altmodischer Haube. Doch die Frau, die ihr gegenübersaß, war sicher erst Mitte vierzig und sie trug auch keine unvorteilhafte Haube auf dem dichten, dunklen Haar, das ordentlich aufgesteckt war. Ihre Augen waren braun und sie hatte angenehme Züge. Ihr Gesicht war vielleicht eine Spur zu lang; sie hatte einen hellen Teint und ihre Kinnlinie zeigte ganz leichte Anzeichen des Erschlaffens. In ihrer Jugend musste sie eine Schönheit gewesen sein, dachte Margaret. Sie war noch immer attraktiv, abgesehen von dem strengen Zug um ihren Mund und dem misstrauischen Blick, mit dem sie sie bedachte.
»Nora, nicht wahr?«
»Ja, Maʼam. Nora Garret.«
»Bei den Dienstboten verwenden wir hier auf Fairbourne Hall nur die Vornamen, es sei denn, wir haben mehr
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