Die Magd von Fairbourne Hall
unternommen. Stephens hätte mit ihm sprechen sollen.«
Nathaniel zögerte. Er wusste, wie sehr seine Schwester in Lewis vernarrt war. Alle waren das, schon immer. Sie würde es ihm nicht danken, wenn er etwas gegen ihren älteren Bruder sagte.
Helen fragte: »Also hat Vater dich geschickt, um hier nach dem Rechten zu sehen, ja?«
»Ja, sozusagen. Ich gebe zu, dass ich befürchtet habe, die gesamte Dienerschaft wäre weggelaufen, ehe ich hier ankomme.«
»Da habt ihr beide ein bisschen zu schwarz gesehen. So schlimm ist es nun auch wieder nicht, wie du siehst. Du hättest nicht zu kommen brauchen.«
Wäre ihr das lieber gewesen? Wahrscheinlich. Nathaniel zuckte die Achseln. »Vater und ich waren an einem Punkt angelangt, an dem wir miteinander nicht weiterkamen. Ich habe mich geweigert, die Plantage zu leiten, solange er noch Sklaven hielt, und er weigerte sich, bezahlte Arbeiter einzustellen.«
»Lewis sagte, unser Profit würde dadurch sehr leiden.«
»Das ist richtig. Aber es gibt mehr im Leben als finanziellen Profit.«
Sie hob das Kinn. »Vor deiner Abreise nach Barbados hattest du keine solchen Bedenken.«
Das war nur zu wahr und sein Gewissen machte ihm deshalb auch sehr zu schaffen. »Damals hatte ich es noch nicht mit eigenen Augen gesehen, Helen. Es war nicht real für mich, alles reine Theorie. Doch dann sah ich die Grausamkeit von Aufsehern und Herren wie Abel Preston. Ich habe die Schreie gehört und die Narben von den Misshandlungen gesehen.«
Helen zuckte zusammen. »Im Prinzip stimme ich dir zu. Aber Papa und andere haben das Gleiche gesehen, was du gesehen hast, und sind nicht zu dem gleichen Schluss gekommen. Wie erklärst du dir das?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß es nicht. Absichtliche Blindheit. Gleichgültigkeit. Gier. Falsche Informationen oder Unwissenheit. Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, dass ich zutiefst überzeugt bin, dass es falsch ist.«
Sie zupfte an dem Spitzendeckchen auf ihrem Armsessel. »Wenigstens haben Papa und die anderen Pflanzer sich nicht gegen das Parlament erhoben, als der Sklavenhandel abgeschafft wurde.«
Er nickte. »Das ist schon Jahre her, aber den Sklavenhandel gibt es immer noch. Die Pflanzer haben sich nur deshalb nicht dagegen gewehrt, weil Barbados damals schon nicht mehr von der Sklaveneinfuhr abhängig war.« Ihm drehte sich der Magen um. »Sie hielten sich stattdessen an die Sklavenvermehrung.«
Helen schlug die Augen nieder; sie sah verstört aus.
Jetzt war es an ihm zusammenzuzucken. »Entschuldige.«
Sie räusperte sich und zwang sich aufzublicken. »Aber leben wir denn nicht von diesen Erträgen? Wurde dein Schiff nicht von Geld gekauft, das durch von Sklaven angebautes und geerntetes Zuckerrohr erwirtschaftet wurde? Wurde nicht auch deine Ausbildung in Oxford und die Kleidung, die du trägst, davon bezahlt?«
»Du klingst wie unser Vater«, sagte Nathaniel trocken. »Und du hast natürlich recht, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Aber deshalb brauchen wir ja nicht so weiterzumachen. Das Zuckerrohr ist nicht unsere einzige Einkommensquelle, Helen. Unsere Ernte ist im vergangenen Jahr sehr gut ausgefallen, das stimmt. Doch der Markt ist nicht mehr, was er einmal war, und insgesamt geht der Profit zurück, ob mit oder ohne Sklavenarbeit. Ich bin der Ansicht, wir sollten die Plantage verkaufen. Wenn wir uns einschränken, klug investieren und bescheiden wirtschaften, können wir vom Ertrag dieses Anwesens hier leben.« Er merkte plötzlich, dass er klang wie ein aufgeregter Junge. Oder ein Prediger. Er seufzte. »Aber das will Vater nicht.«
Sie fragte sanft: »Ist er sehr ärgerlich auf dich?«
Nathaniel holte tief Luft. »Er ist enttäuscht – anders kann man es nicht sagen. Er sagt, er achtet meine Überzeugungen, aber er findet sie zu unbequem.« Sein Vater war wenigstens ehrlich; das musste Nathaniel ihm zugutehalten. Er richtete sich auf. »Wie auch immer, es wurde Zeit, dass ich nach Hause kam. Ich kann mich hier nützlich machen. Mich um alles kümmern.«
»Aber mach bitte Lewis keine Vorwürfe«, sagte Helen. »Was sollte er denn machen, wenn kein Geld da war?«
Nathaniel fuhr sich mit der Hand über die Augen und biss sich erneut auf die Lippen, um nicht zu sagen, was er ihr am liebsten ins Gesicht geschleudert hätte: » Ich hätte erwartet, dass er aufhört, Geld, das wir nicht haben, für neue Kleidung, eine neue Kutsche, üppige Abendgesellschaften, Renovierungsarbeiten an unserem Londoner
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