Die Magd von Fairbourne Hall
Wangen waren mit schwarzen Bartstoppeln gesprenkelt. Ob er sich wohl selbst rasierte, fragte sie sich. Oder machte Mr Arnold es für ihn?
Während sie ihn betrachtete, kam ihr ein unwillkommener Gedanke. Er könnte mein Mann sein. Ich könnte jetzt mit ihm in diesem Bett liegen. Sie schluckte; ihr Hals rötete sich bei der Vorstellung, ihm hier in seinem Schlafzimmer so nah zu sein.
Stattdessen leere ich jetzt seinen Nachttopf.
Damit schob sie die nutzlosen Erwägungen beiseite und machte sich an die Arbeit.
Margaret stand am Treppengeländer und Betty zeigte ihr, wie die Vasen abgestaubt werden mussten, die auf einem in eine Nische an der Haupttreppe eingelassenen Regal aufgereiht waren. Von unten hörten sie, dass die Vordertür aufging und Mr Arnold einen männlichen Gast begrüßte.
Lewis Upchurchs Stimme rief leutselig: »Schon gut, Arnold, ich mache selbst auf!«
Betty warf ihr einen scharfen Blick zu, doch die Schritte kamen bereits die Treppe hinauf. Es blieb keine Zeit mehr, über den Flur zu laufen und sich in eines der leeren Zimmer zu flüchten. Betty trat vom Geländer weg und drückte sich so weit wie möglich in die Ecke, wobei sie den beiden Männern, die die Treppe heraufkamen, den Rücken zukehrte. Margaret, die sich linkisch und verlegen fühlte, tat es ihr nach.
Die Männer gingen vorbei, ohne stehen zu bleiben oder etwas zu sagen, als seien zwei Frauen, die mit den Gesichtern zur Wand dastanden, etwas völlig Alltägliches – und Margaret wurde zum ersten Mal klar, dass es wahrscheinlich wirklich so war. Wenn sie zurückdachte, hatten sich die Hausmädchen am Berkeley Square genauso verhalten, wenn Sterling oder ihre Mutter zufällig vorbeikamen. Bisher hatte sie nie darüber nachgedacht, doch jetzt beschloss sie, wenn sie je ein eigenes Haus haben sollte, würde sie dafür sorgen, dass so etwas nicht nötig war.
Die Männer betraten das Wohnzimmer der Familie und einer gab der Tür einen Schubs, ohne sie jedoch ganz zu schließen. Man konnte hören, wie Personen einander freundlich begrüßten. Margaret dachte flüchtig, wer wohl der Besucher sein mochte.
Betty setzte ihre Belehrung fort, wobei sie die offene Tür jedoch stets im Auge behielt. »Dann nimmst du das Staubtuch – nein, das ist das Glastuch. Richtig, das da. Wir müssen besonders vorsichtig sein, diese Vasen sind nämlich sehr wertvoll, sagt Mrs Budgeon.«
Und es waren in der Tat wunderschöne Vasen. Margaret konnte sich nicht vorstellen, dass die Upchurch-Männer sie wirklich zu schätzen wussten. Zweifellos hatte irgendeine Ahnfrau sie gesammelt und beschlossen, sie hier an dieser gut sichtbaren Stelle oben an der Treppe zur Schau zu stellen.
Betty nahm behutsam die erste Vase hoch und hielt sie so sanft wie ein Vogeljunges. »Jetzt nimmst du das Ding vorsichtig in eine Hand und wischst sie mit dem Tuch innen aus.«
Da drang aus dem Zimmer die Stimme eines Mannes. Er rief: » Margaret Macy? «
Margaret schrak zusammen und stieß einen Schrei aus. Hatte Ster ling Benton sie bereits aufgespürt? Betty sprang erschrocken zurück und ließ die Vase fallen, sodass sie auf dem Fußboden in tausend Scherben zersprang.
Nun schrie Betty ebenfalls auf, dann schlug sie – leider zu spät – die Hand vor den Mund.
Margaret stand da, unsicher, was sie tun sollte. Sollte sie fliehen und damit die Aufmerksamkeit erst recht auf sich lenken, oder sollte sie darauf vertrauen, dass ihre Verkleidung sie schützte?
Sie riskierte einen Blick über die Schulter und zitterte vor Angst, als Nathaniel Upchurch aus dem Zimmer gestürmt kam. Er wirkte höchst aufgebracht.
»Was soll das?«, fragte er.
Betty ließ den Kopf sinken. »Es tut mir leid, Sir. Ich bitte um Entschuldigung.«
Auf der Treppe ertönten Schritte. Mrs Budgeon erschien, die Lippen grimmig zusammengepresst.
Margaret wollte sagen: »Es war meine Schuld.« Sie wusste genau, dass es ihre Pflicht gewesen wäre. Wäre Mrs Budgeon allein gewesen, hätte sie es auch getan. Aber mit Mr Upchurch als Zeugen? Die Worte kamen ihr nicht über die Lippen.
Mrs Budgeon warf Betty einen eisigen Blick zu und wandte sich dann an Mr Upchurch. »Es tut mir leid, Sir. Betty hat noch nie irgendetwas zerbrochen. Die Kosten werden ihr natürlich von ihrem Lohn abgezogen.«
Nathaniel stieß die Luft aus. »Und wenn wir ihr ein Dutzend Jahre keinen Lohn zahlen, genügt das immer noch nicht. Die Vase war ein Kunstgegenstand.«
Betty wurde totenblass.
Mrs Budgeon rang die Hände. »Es
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