Die Magd von Fairbourne Hall
zu sagen, wer sie war, und ihn um Hilfe bitten? Schon bei dem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen. Nein, sie konnte sich Lewis Upchurch nicht als Margaret Macy zu erkennen geben, während er im Bett lag. Sie würde auf einen geeigneteren Zeitpunkt warten müssen.
Sie rief sich in Erinnerung, dass sie sich eigentlich vorgenommen hatte, mit dem Wasser hineinzuschlüpfen und mit den Nachttöpfen wieder zu verschwinden, ohne die schlafenden Herren zu wecken. Schon bald würde das Wetter umschlagen und dann würde sie irgendwie auch noch Feuer in den beiden Zimmern machen müssen, und zwar so leise wie möglich. Sie dachte an ihre Zeit am Berkeley Square und davor, an ihre Kindheit in Lime Tree Lodge. Joan war ein ausgezeichnetes Hausmädchen gewesen, das erkannte sie jetzt, denn wenn Margaret im Herbst aufgewacht war, brannte bereits Feuer im Kamin und das Zimmer war wunderbar warm – ohne dass sie je darüber nachgedacht hatte, warum das so war. Und unter der Reihe von Hausmädchen in Lime Tree Lodge war eine gewesen – sie erinnerte sich nicht an ihren Namen –, die mit den Kaminrosten klapperte und über den Zunder schimpfte und damit das ganze Haus aufweckte, wenn sie morgens Feuer machte. Sie war nicht lange geblieben.
Margaret holte tief Luft und öffnete die Tür. Das Quietschen, das dabei ertönte, jagte ihr einen Angstschauer über den Rücken. Sie huschte hinein und schaute sich im trüben Licht der Morgendämmerung um. Die Bettvorhänge waren nicht zugezogen. Erschreckt blickte sie hinüber, doch das Bett war leer, ja, es war gar nicht benutzt worden. Margaret spürte, wie sie die Stirn runzelte. Lewis war noch hier, da war sie ganz sicher. Sie hätte es erfahren, wenn er und der charmante Connor Fairbourne Hall bereits wieder verlassen hätten. Wie seltsam. Hatte er die Nacht vielleicht bei einem Freund verbracht? Oder war er unten eingeschlafen? Einerseits war sie erleichtert, dass er nicht da war und sie nicht allein mit ihm im Zimmer zu sein brauchte, andererseits war sie komischerweise richtig enttäuscht. Sie machte sich rasch an ihre Aufgaben, stellte den Wasserkrug hin und prüfte den Nachttopf. Leer. Er war die ganze Nacht fortgewesen.
In Gedanken, was dies wohl zu bedeuten hatte, verließ sie Lewisʼ Zimmer und ging den Flur hinunter zum Zimmer von Helen. Sie wollte gerade die Klinke herunterdrücken, als sie Schritte auf der Treppe hörte. Erschrocken blickte sie über die Schulter zurück. Eine schattenhafte Gestalt schlich die Treppe hoch. Im Licht der Kerze, die sie auf dem Treppenabsatz hatte stehen lassen, erkannte Margaret Lewis Upchurch, tadellos gekleidet. Er trug sogar noch seinen Mantel. War das ihre Chance? Selbst wenn er kein Interesse hatte, sie zu heiraten, könnte er ihr doch sicher helfen, ein passenderes Versteck zu finden.
So stand sie zitternd da, die Hand auf der Klinke von Helens Zimmer, während Lewis den Gang entlang auf sie zukam. Jetzt , sagte sie sich. Mach den Mund auf. Sag was, irgendwas.
Sie brachte keinen Ton heraus.
Als Lewis hinter ihr vorbeiging, gab er ihr einen Klaps auf den Po.
Margaret wurde knallrot. Sie drehte den Kopf und blickte über ihre Schulter. Lewis ging langsam weiter. Vor seiner Tür drehte er sich um, winkte ihr zu und ging dann ohne das leiseste Anzeichen von Verlegenheit in sein Zimmer.
Was für eine Frechheit! Sie rief sich in Erinnerung, dass er nicht wusste, wer sie war. Aber war es vielleicht besser, einem unbekannten Hausmädchen den Po zu tätscheln?
Noch immer zitternd, schlüpfte sie in Helens Zimmer und blieb kurz stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Die Bettvorhänge waren vorgezogen, doch ein leises Schnarchen verriet Margaret, dass die Bewohnerin ungeachtet ihrer Anwesenheit weiterschlief. Ohne Zwischenfall brachte sie ihre Aufgaben hinter sich.
In Nathaniels Zimmer hatte sie nicht so viel Glück. Die Bettvorhänge waren nicht zugezogen und ließen den Blick frei auf Nathaniel Upchurch, der auf dem Bauch lag, die Arme um das Kopfkissen geschlungen, die Wange tief hineingedrückt. Die Decke hatte er bis zur Taille hochgezogen; ein Nachthemd bedeckte seinen Oberkörper und seine Arme.
Sie trat auf Zehenspitzen näher, wohl wissend, dass sie die Augen abwenden und ihre Aufgaben so schnell wie möglich erledigen musste. Doch stattdessen blieb sie ein paar Schritte vom Bett entfernt stehen. Wie friedlich er aussah! Wie viel jünger ohne die steife Krawatte, die Brille, den düsteren, strengen Gesichtsausdruck. Seine hellen
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