Die Magd von Fairbourne Hall
sich der Druck ihrer früher so weichen, jetzt so rauen Finger ganz und gar nicht an wie seine Lippen – fest und weich zugleich und umrahmt von kratzigen Barthaaren auf Kinn und Wangen. Schon der Gedanke daran ließ sie die süße, berauschende Spannung, den schnellen Herzschlag, das Chaos von Gedanken und Gefühlen von Neuem erleben. So etwas hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht empfunden und sie fragte sich, woran das lag.
Margaret war schon geküsst worden. Sie dachte an Marcus Bentons erzwungenen Kuss, der noch gar nicht so lange zurücklag, an seine Finger, die sich in die zarte Haut ihrer Oberarme bohrten. Doch diese Berührung hatte nur Widerwillen, Zorn und Angst in ihr geweckt … nicht die träumerische Sehnsucht, die sie jetzt empfand, diese schmachtenden Glieder und Gedanken. Marcusʼ Umarmung hatte sie am liebsten vergessen wollen. Nathaniels Berührung wollte sie bewahren und immer wieder durchleben. Sie schalt sich, dass sie töricht war; schließlich hatte er nicht gewusst, was er tat. Wenn er gewusst hätte, dass sie es war, wirklich sie, hätte er sie nie geküsst und mit solcher Leidenschaft festgehalten. Doch er hatte geträumt, dass er sie küsste – bedeutete das denn nicht etwas … etwas ganz Wunderbares? Sie hatte geglaubt, alles, was er je für sie empfunden hatte, abgetötet zu haben – aber vielleicht hatte sie sich ja geirrt.
Wie anders würde sie empfinden, wenn sie glauben müsste, dass Nathaniel Upchurch versuchte hatte, Nora zu küssen, das hilflose Hausmädchen. Sie dachte an Lewisʼ Flirten und Marcusʼ unverblümte Verführung von Mädchen, die wussten, dass sie keine Wahl hatten. Nathaniel Upchurch sah seine Hausmädchen kaum an, geschweige denn flirtete er mit ihnen. Das war ihr zugutegekommen, denn er hatte sie nie genau genug angeschaut, um sie zu erkennen.
Sie fragte sich, wie es wohl war, Nathaniel zu küssen, wenn er wach war. Sie bezweifelte, dass sie das je erfahren würde. Denn in wachem Zustand und bei vollem Verstand würde Nathaniel Upchurch einzig und allein seine Frau mit so ungezügelter Leidenschaft küssen. Sie hatte ihre Chance gehabt, seine Frau zu werden, und hatte sie zurückgewiesen, hatte ihn zurückgewiesen – eine Entscheidung, die sie bitterlich zu bereuen begann.
Nathaniel bat Hudson, an diesem Morgen mit ihm zusammen auszureiten, wozu der Verwalter gern bereit war. Sie verließen das Anwesen und galoppierten eine Landstraße entlang, wobei sie Birkhühner und Fasane aufscheuchten. Dann ließen sie ihre Pferde in entspannten Schritt fallen und genossen es, wie die Pferde mit ihren Schweifen die Libellen vertrieben, genossen die leichte Septemberbrise und ihr kameradschaftliches Schweigen.
Schließlich fragte Nathaniel: »Was meinen Sie, was es bedeutet, Hudson, wenn ich von einer schönen blonden Dame träume und aufwache und ein blondes Haar in meinem Bett finde?«
Hudson lachte. »Du meine Güte, Sir! Sie müssen aber lebhafte Träume haben!«
»Sie haben ja keine Ahnung!«
Nathaniel wusste, dass Hudson nie auf die Idee käme, dass er wirklich eine Frau im Bett gehabt hatte. Seit seinem Gesinnungswandel auf Barbados hatte er sich um einen reinen Lebenswandel bemüht. Er fragte: »Haben wir ein blondes Hausmädchen, von dem ich nichts weiß?«
»Ich glaube, Sie wissen von überhaupt keinem Hausmädchen, wenn ich das so sagen darf, Sir.« Hudson schwieg und dachte nach; dabei starrte er hinauf in den blauen Himmel, als stünde dort eine Dienstbotenliste geschrieben. »Wir haben ein Spülmädchen mit blondem Haar, aber sie hat kurze Locken. Das Haar der Waschfrau konnte vielleicht früher mal als blond gelten, aber jetzt ist es grau. Und das Haar Ihrer Schwester hat eine satte, kaffeebraune Farbe.«
Nathaniel warf seinem Verwalter einen scharfen Blick zu und Hudson seinerseits wandte errötend den Blick ab. »Nicht, dass ich Grund hätte, das zu bemerken.« Er räusperte sich. »Ich kann mir jede Menge Möglichkeiten vorstellen, wie ein blondes Haar zwischen Ihr Bettzeug geraten ist. Ich werde Mrs Budgeon fragen; sie soll mit der Waschfrau reden und dafür sorgen, dass sie in Zukunft besser aufpasst.«
Nathaniel winkte ab. »Nicht nötig, Hudson. Ich war nur neugierig.«
»Gut, Sir.« Hudson hustete. »Aber lassen Sie es mich wissen, wenn Sie noch mehr … Souvenirs finden.«
Nathaniel nickte. Er merkte, dass er tief in Gedanken versunken war, als er zufällig hinüberblickte und sah, dass Hudson ihn mit humorvoller Ironie
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