Die Magd von Fairbourne Hall
versuchte sich zu erinnern, was genau geschehen war, versuchte, Tatsachen von Traumgespinsten zu trennen, Wirklichkeit von Traum, und wünschte sich doch die ganze Zeit, die Episode einfach vergessen zu können. Würde er denn nie über Margaret Macy hinwegkommen? Obwohl inzwischen so viel Zeit vergangen war – obwohl er um die halbe Welt gefahren war, um vor ihr zu fliehen? Wie schaffte sie es, ihn immer noch zu quälen, wo immer sie jetzt auch sein mochte?
Doch je länger er grübelte, desto stärker verblasste der Traum und die Ereignisse verwischten sich, bis er nicht mehr sicher war, ob er überhaupt ein Mädchen in den Armen gehalten hatte. Im trüben Licht der Morgendämmerung wirkte sein Zimmer völlig unberührt. Wie sehr er sich wünschte, das auch von seinem Herzen und seinem Kopf sagen zu können.
Er blickte zur Tür. Sie war geschlossen. Hätte ein Mädchen, das in Panik floh, sich die Mühe gemacht, sie zu schließen? Wohl kaum. Also war wahrscheinlich überhaupt niemand in seinem Zimmer gewesen. Er blickte quer durch sein Schlafzimmer in die andere Ecke und sah, dass ein Wasserkrug auf seinem Waschtisch stand. Sein Mut sank. Er stand auf und ging durchs Zimmer, als näherte er sich einer Falle – bereit, jeden Moment zurückzuweichen. Dabei hoffte er wider alle Vernunft, dass es das Wasser vom gestrigen Abend war. Er tauchte den Finger hinein und stöhnte auf.
Es war noch warm. Sehr warm.
Nach dieser Entdeckung legte Nathaniel sich wieder ins Bett und betete. Er musste eingeschlafen sein, denn als er die Augen wieder aufschlug, schien die Sonne durchs Fenster und hellte seine Stimmung auf. Das fröhliche Vogelzwitschern tat ein Übriges. Arnold kam mit einem Tablett mit Kaffee und der Zeitung herein und fing an, seine Kleidung herauszulegen. Er wirkte wie immer. Keine missbilligenden Blicke oder Nachrichten über ein Hausmädchen, das sich beschwert hatte.
»Möchten Sie heute Morgen ausreiten, Sir? Oder fechten?«
»Hmmm? Oh – reiten, glaube ich.«
Alles war so, wie es sein sollte. Genau wie gestern und vorgestern. Vielleicht hatte eins der Mädchen wie üblich Wasser hereingebracht und alles andere war nur ein Traum gewesen. Wenn er es sich recht überlegte, musste es so gewesen sein. Was für eine Erleichterung! Keine Entschuldigungen. Keine Frau in seinem Bett. Keine geisterhafte Miss Macy mit ätherischem blondem Haar, die ihm zuflüsterte, dass er in Sicherheit war. Dass sie in Sicherheit war. Vielleicht war es ein Zeichen. Gott sagte ihm, dass er endlich darüber hinweg war. Sein Herz war in Sicherheit – Miss Macy freute sich ihres Lebens, wo immer sie sich aufhielt, und ging ihn nichts mehr an. Alles war in bester Ordnung. Es war Zeit, dass er sein Leben im Hier und Jetzt lebte.
Gestärkt von diesem Gedanken, schlug Nathaniel die Bettdecke zurück. Er schwang seine Beine aus dem Bett und saß einen Moment auf der Bettkante, neigte den Kopf und dankte Gott für einen neuen Tag. Das Sonnenlicht fiel auf seine vom Nachthemd bedeckten Knie. Auf dem schlichten weißen Stoff blitzte etwas Helles, Glänzendes auf. Er nahm den vermeintlichen Faden mit Daumen und Zeigefinger auf und wollte ihn in den Papierkorb werfen, doch dann hielt er inne. Er hob den Faden dicht vor seine Augen und im hellen Sonnenlicht sah er, dass es kein Faden, sondern ein langes Haar war. Ein langes, blondes Haar.
Er runzelte die Stirn. Welches der Mädchen hatte solches Haar? Ihm fiel keine ein; allerdings hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, die jungen Frauen in seinen Diensten weder direkt noch zu oft anzusehen. Vielleicht stammte es aus der Wäscherei. Die Waschfrauen würde er nicht erkennen, wenn er auf der Straße an ihnen vorbeigehen würde. Oder vielleicht hatte Lewis das Haar einer Dame an seiner Kleidung mitgebracht und es war auf dem Weg über die Wäscherei auf sein Nachtgewand geraten. Lewis, so wusste er, mangelte es nicht an weiblichen Bewunderinnen aller Haarfarben. Doch noch während sein Verstand versuchte, das blonde Haar vernünftig zu erklären und einen Zusammenhang mit seinem Traum zu widerlegen, wusste er, dass ihm das nicht gelingen würde. Er hatte von der blonden Margaret Macy geträumt, um mit einem langen blonden Haar in seinem Bett aufzuwachen? Oh Gott – was war das nur für ein Zeichen?
Margaret legte zwei Finger auf ihre Lippen, auf denen sie noch immer Nathaniels Kuss spürte. Ein Fingerpaar war gar nicht so anders als ein Lippenpaar, überlegte sie, doch irgendwie fühlte
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