Die Maggan-Kopie
einigen Wochen in der Talk-Show „Katharina spricht Klartext“ konkret gegen eine Lockerung des Klon-Gesetzes ausgesprochen hatte.
Heute wurde das Thema im Parlament wieder heiß diskutiert und Christoph Anderson hatte sich fast hysterisch gegen eine Lockerung ausgespr o chen. Sein Gemütszustand war in letzter Zeit etwas gereizt.
„Wie kann dieser Mann nur so störrisch dem Fortschritt entgegenstehen. Er ist Familienvater und hat selbst am eigenen Leibe erfahren, wie es ist, ein Kind zu verlieren“, hörte er einen seiner Kollegen sagen. Anderson stand im Foyer hinter einer Säule und kramte gerade in seiner Aktentasche. Der Sprecher kon n te ihn nicht sehen. Die Worte trafen ihn jedoch wie ein Messerstich ins Herz. Er dachte unwillkürlich wieder an die schrecklichen Vo r fälle zurück.
Vor drei Wochen hatte seine vierjährige Tochter Annie einen schweren Autounfall. Sie war mit dem Fahrrad die Einfahrt hinunter gerollt.
„Guck mal Papi! Ich kann fahren!“, rief sie stolz ihrem Vater zu, der mit aufgekrempelten Hemdsä r meln in der Garage an seinem alten Maybach schraubte; Baujahr 2002 – eine echte Rarität. Es roch nach Motoröl, was den Duft des g e pflegten Gartens hinter dem Haus völlig übertönte.
„Prima, aber nicht auf die Straße fahren!“, rief er lächelnd, ohne den Kopf unter der Motorhaube hervorzuzi e hen.
Doch in diesem Moment krachte es schon. Der Kleintransporter wollte noch bremsen, aber bis er zum Stehen kam, hatte er das Kind schon überrollt. Das zerbeulte Fahrrad flog auf die andere Straßenseite und für einen Moment, der Christoph Anderson wie eine Ewigkeit vorkam, war es totenstill. Dann brach ein Tumult los, und der Schmerz in Andersons Herz. Er fand nicht die Kraft sich umzudrehen, sondern sac k te über dem Motor seines Autos zusammen. Seine Frau Kathy kam schreiend aus dem Haus gerannt. Zum Glück waren die beiden Söhne Carl und Steffen gerade in der Schule.
Bei all dem Lärm und Schmerz merkte niemand, wie der Transporter we g fuhr. Kein Nummernschild, nur eine Personenbeschreibung: Ein Schwarzer, groß und breit, wie ein Sumoringer. Dies passte auf nicht gerade wenige Farbige in der Stadt.
Annie hatte starke innere Verletzungen. Die meisten Organe im Brustbereich waren schwer beschädigt. Die Ärzte sagten, dass nur e i ne Herz-Lungen-Transplantation dem Kind das Leben retten könnte, doch die intensiven Nachforschungen nach einem Spender auf der ganzen Welt bli e ben erfolglos.
Dann bekam er diesen seltsamen Anruf. Zwei Männer trafen sich mit ihm in Amsterdam in einem verlassenen Lagerhaus am Hafen. Die Luft war erfüllt vom Gestank verrottenden Fischs. Durch die sche i benlosen Fenster fiel nur ein diffuses Licht ins Innere des Gebäudes. Er konnte die Gesichter der Mä n ner nicht genau erkennen, doch er hörte sich an, was sie zu sagen hatten, dann fuhr er wie in Trance nach Hause zurück und schloss sich zwei Tage in seinem Arbeitszi m mer ein. Das Angebot war verlockend, doch es widersprach allem, woran er glaubte. Was war wichtiger – Annie oder seine Grundsätze? Er könnte sie retten, doch dann würde er sich selbst ve r raten? Was sollte er tun?
Gestern konnten die Geräte an Annies Körper keine Hirnwellen mehr regis t rieren. Annie war tot. Der Computer schaltete automatisch das Bea t mungsgerät ab. Die kleine Brust senkte sich zum letzten Mal, dann war alles vorbei.
Anderson machte sich schwere Vorwürfe. Dennoch verlor er nicht die Überzeugung, dass die künstl i che Herstellung von menschlichen Organen durch gentechnische Verfahren unethisch ist. Irgendwo musste dem menschlichen Drang, Gott zu spielen, eine Grenze aufgezeigt werden. Denn selbst beim sogenannten therapeutischen Klonen, müssen künstlich Embryonen e r zeugt werden, die dann bis zu einem bestimmten Entwicklung s stadium – seien es auch nur 16 Zellen – kultiviert und ausgeschlachtet werden. Diese Embryonen haben aber die gleiche Entwicklungspotenz wie n a türlich erzeugte. Sie könnten also zu einem Menschen heranwachsen. Wo sollte man also die Grenze setzen?
Er – Christoph Anderson – setzte sie beim befruchteten Ei! Wie sich schon vor einigen Jahren herausstellte, war es sowieso nicht möglich i n takte Organe unabhängig von einem funktionierenden Körper zu klonen. Was sollte das ganze Gerede also? Was für Alternativen gab es? Menschliche Organe in Tieren zu klonen? Ganze Menschen zu klonen, nur als Organspender? Alles ethisch nicht zu verantworten.
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