Die Maggan-Kopie
öffnete die Haustür und stakste die Treppe hinauf. Die Wohnungstür stand einen Spalt offen, doch es war kein Lichtschein zu sehen. Er stutzte. Langsam drückte er die Tür auf.
„Mercedes?“ Er rief nur leise, um die Nachbarn nicht zu wecken, erhielt j e doch keine Antwort. Auch der Kater kam nicht, wie g e wöhnlich, zur Tür.
Er spürte, dass etwas Schreckliches passiert sein musste und stand unschlüssig im Flur. Einerseits wol l te er Gewissheit haben und die bekam er nur, wenn er weiterging, andererseits war ihm bewusst, dass er es nicht sehen wollte. Er tastete sich durch die Dunkelheit und seine Augen füllten sich mit Tr ä nen. Dann stand er im Wohnzimmer und betätigte zitternd den Lichtschalter. Ihm blieb fast das Herz stehen. Er wollte schreien, brachte aber keinen Laut heraus. Um ihn drehte sich alles und er rutschte an der Wand hinunter, bis er auf dem Fußboden saß. Sein Atem ging schneller und er hype r ventilierte, dann verlor er die Besinnung.
Als die Polizei eintraf, lag er noch immer bewusstlos am Boden. Ein Nachbar hatte die offene Wo h nungstür bemerkt und nachgesehen. Er stand beim Anblick ebenfalls sofort unter Schock, konnte aber noch die Polizei verständ i gen. Die Rettungssanitäter brachten Jan in die harte Wirklichkeit zurück. Er sah nur ein weißes Tuch über dem Sessel.
„Wie ist Ihr Name?“, fragte der Polizist mit einem elektronischen Noti z buch in der Hand.
„Jan Olländer“, antwortete er, ohne den Blick von dem Tuch losreißen zu können. Der Polizist tippte mit dem Metallstäbchen auf die winzigen Buchst a ben-Tasten des elektronischen Notizblocks.
„War das I h re Frau?“
„Meine Verlobte. Mercedes Klein.“ Seine Stimme war die eines Rob o ters.
„Haben Sie die Leiche gefunden?“
„Ja.“
„Haben Sie eine Vorstellung davon, was passiert sein könnte? Vielleicht ein Überfall? Ein Einbruch? Haben Sie Wertsachen in der Wohnung? ...“
Jan hörte die Worte nicht. Er blickte nur auf das weiße Tuch. Ihm wurde bewusst, dass er sie getötet hatte. Nicht mit einer Waffe, sondern mit einem unüberlegten Anruf bei seiner Mutter. Er b e gann laut zu weinen.
Kenny
Kenny blickte sich unschlüssig um und ging dann auf die rechte Tür der Hütte zu. Mark steuerte die andere Tür an.
Maggan nahm das Gewehr in Anschlag und wartete, die Tür im Visier. Ihr Herz klopfte bis in ihren Hals. Doch sonst war es totenstill. Plötzlich klopfte es an der Tür. Maggan und Svenja verhielten sich ganz still. Es klopfte noch einmal. Dann drückte jemand die Klinke herunter und öffnete vorsichtig die Tür.
Es war Kenny, Kenneth McGillis. Maggan schluckte. Bilder ihrer Jugend huschten wie aufgeschreckte Vögel an ihrem inneren Auge vorbei. Damals hatte er zwar viel längere Haare, doch seine Augen waren noch di e selben.
Als Kenny in die Mündung des Gewehres blickte, trat er reflektorisch einen Schritt zurück und nahm die linke Hand als kleine beschwichtigende Geste etwas hoch, ließ die Waffe in der rechten jedoch nicht sinken. Einige Sekunden geschah nichts. Die Sonne brannte zwar weiterhin heiß und erbarmung s los vom Himmel, doch die übrige Welt schien den Atem angehalten zu haben, denn selbst die Gri l len waren still.
Maggan blickte ihn nur an und versuchte sich an ihre schöne gemeinsame Zeit zu erinnern, doch sie hatte das Gefühl, einen Fremden anzusehen. Sein Gesicht verriet nichts, aber in seinem Inneren raste ein Karussell. Er sah diese Frau vor sich und erkannte Maggan darin. Die kleine Maggan, mit der er durch die Wälder seiner Kindheit gestreift war. In seinem Kopf fügten sich einige Puzzleteile z u sammen.
Es krachte ohrenbetäubend. Mark Fichtler trat die andere Tür mit dem Fuß ein. Das Holz gab nach und die Scharniere wurden samt Schrauben herausgeri s sen. Die Tür krachte zu Boden. Staub wirbelte auf. Fichtler stürmte mit vorgehaltener Wa f fe ins Wohnzimmer. Svenja kreischte laut los. Er packte sie und hielt ihr die Mündung der Pistole an die Schläfe.
„Lass’ das Gewehr fa l len!“, brüllte er Maggan an. Ihm war sofort klar, dass er es mit dem Miststück zu tun hatte, das ihm eins über den Schädel gezogen hatte. Maggan blickte abwechselnd zu Fichtler, zu Sve n ja und zu Kenny. Sie war unsicher, wen sie mit der ungeladenen rostigen Flinte bedrohen sollte. In Kennys Gesicht kon n te sie nichts ablesen. Er deutete ihr mit der Waffe an, ins Haus zu gehen. Sie gehorchte und ging rückwärts hinein, immer noch die Flinte auf ihn
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