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Die Magie des Falken

Die Magie des Falken

Titel: Die Magie des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruben Philipp Wickenhaeuser
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Kälte bedächtig in seine Sachen zu schlüpfen.
    Eyvindr erwartete ihn in einem der abseits gelegenen Grubenhäuser. Ein Posten stand vor dem Eingang und ließ ihn durch. Ganz offensichtlich wollte Eyvindr sicher gehen, dass niemand sie belauschte.
    »Erzähl mir von deiner Zauberkunst.« Gehorsam berichtete Kyrrispörr, wie er mithilfe von Runenstäben die Zukunft vorausgesagt und mit dem Pendel gute von schlechten Orten zu scheiden gelernt hatte; wie er sich in jenen Zustand versetzte, der den Verstand von den Sinnen des Körpers trennte und ihn den Botschaften der Götter und Geister öffnete; wie er mit Laggar zu verschmelzen versuchte und die Welt aus Huginns Gefilden herab sah; wie er sprach und sang, damit den Nornen Genüge getan war.
    Eyvindr hörte schweigend zu. Schließlich fragte er: »Und die Macht der Geisterrufer?«
    »Die hat Hæricr mich nicht gelehrt. Ich sei zu jung.«
    »Und die Heilung im Dampf?«
    Kyrrispörr schüttelte den Kopf. »Kenne ich nicht.«
    »So werde ich sie dich als Erstes lehren. Ein Knabe wird von Schmerzen im Leib geplagt, man weiß nicht, woher sie kommen. Du wirst mir morgen zur Hand gehen.« Damit entließ er ihn.
     
    Die Dampfheilung war nur die erste von einer ganzen Reihe an Unterweisungen, die Eyvindr Kyrrispörr täglich gab, und sie war gleich eine der schwersten: Der Knabe Þorkell, einer der Lachsschupper, sah aus wie ein jüngerer Feilanr, langbeinig, schmalgesichtig und blond, wie er war. Er hatte solche Angst, dass er zitterte. Sein Vater übergab ihn wortlos an Eyvind und verschwand, um an seinem Hausaltar zu beten. Vor der Sauna befahl Eyvindr Þorkell, sich zu entkleiden, machte aber eine abwehrende Geste, als Kyrrispörr es ihm nachtun wollte. Den Jungen zwischen sich, betraten Kyrrispörr und der Meisterseher den Saunaraum, und noch während Kyrrispörr eine Reihe von Tranlampen entzündete, begann ihm unter seinem Wollmantel warm zu werden.
    Ausgestreckt musste Þorkell sich auf die Bank legen. Eyvindr wies Kyrrispörr an, einen glatten, flachen Stein auf den Bauchnabel und ein Kräuterbündel auf Gemächt und Schenkelspiegel zu legen, wobei der Knabe kurz erschrocken zuckte; danach eine Knochenrune auf jedes Handgelenk Þorkells. Eyvindr murmelte währenddessen Gebete in einer monotonen Stimme. Anschließend warf er eine Handvoll Samen in die Schale mit den Saunasteinen, wo sie aufglühten und zischend in aromatisch duftenden Rauch aufgingen. Er breitete die Arme über Kopf und Bauch des Jungen aus und begann mit einem durchdringenden Gesang, sodass auch Kyrrispörr erschrocken zusammenzuckte. Þorkells Brust hob und senkte sich schneller, sein Blick starrte angstvoll zur Decke, und die Lippen hatte er krampfhaft zusammengepresst.
    »Wasser«, befahl Eyvindr nach einer Weile. Kyrrispörr goss eine Kelle über die Steine. Sofort war der Raum in Dampf gehüllt. Die Tranlampen bildeten Höfe, und die Hitze trieb ihm unter dem Wollzeug sofort den Schweiß aus allen Poren. Eyvindr befahl ihm, die Hände über Stirne und Kehle des Patienten zu halten und ihn beim Singen zu unterstützen, während er die Tonlage in einen Bass fallen ließ und mit einem Kräuterbündel entlang dem Mittelgrat von der Kehle bis zwischen die Fußspitzen strich. Ab und zu ließ er den Gesang für einen Augenblick verklingen, befahl: »Wasser«, oder warf trockene Kräuter auf die Steine. Kyrrispörr sang, kämpfte gegen den Drang, sich den Mantel vom Leib zu reißen, und musste sich zwingen, die Hände über Þorkell stillzuhalten. Es kam ihm vor, als würde er bei lebendigem Leibe gesotten. Dazu drang ihm der starke Kräutergeruch in die Nase, und sein Kopf begann sich seltsam teigig anzufühlen. Er sang weiter, allein schon aus Furcht, dass er ohnmächtig werden könnte, sobald er zu singen aufhörte. Seine Blicke kreuzten die des Jungen, der vor Angst geradezu verrückt zu werden schien. Dabei beneidete Kyrrispörr ihn von ganzem Herzen darum, dass er keine dicken Gewänder tragen musste. Die Lichthöfe der Talglampen begannen ihm merkwürdige Dinge vorzugaukeln. Da waren wieder schwarze und rote Flecken vor seinen Augen, doch er sang, so laut er konnte, kämpfte gegen die unerträgliche Hitze und Stickigkeit an und gegen die Schwere in seinem Kopf – und auf einmal spürte er das alles nicht mehr. Wie aus weiter Ferne hörte er sich selbst singen und fühlte sich merkwürdig schwerelos. Diesen Zustand kannte er aus seinen Beschwörungen: Jetzt öffnete sich der Geist für die

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