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Die Magie des Falken

Die Magie des Falken

Titel: Die Magie des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruben Philipp Wickenhaeuser
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Hinter Kyrrispörrs Stirne lief ein ganzes Feuerwerk an Empfindungen ab. Die kühle Abendluft legte eine Gänsehaut über seinen Körper, und er schluckte hart. Als sie nun tat, was er in seinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hatte, nämlich ihr Haar löste und dieses sinnesraubende Meer aus Gold ihren Körper herabwallen ließ, ja, gar seine Hand zu ihren Locken führte und ihm sie zu berühren erlaubte, da schwanden ihm beinahe die Sinne.
    Das Erlebnis mit Æringa blieb als köstliche Erinnerung in seinem Geist – beängstigend zugleich, auf seine ganz eigene Art, und unendlich betörend. Als wäre das nicht genug, fühlte er sich immer noch ganz benommen von der Kultfeier, die er durchlebt hatte. Jetzt war ihm zum ersten Mal so richtig bewusst gewesen, dass er Seimar war. Er war damit aufgewachsen, hatte gelernt und auch Zauber gewirkt, aber so richtig begriffen, was er war, das war es ihm erst jetzt. Er gehörte jetzt zu einem kleinen, erlesenen Kreis. Er war gestorben und wiedergeboren worden als etwas anderes – immer noch der junge Kyrrispörr, aber jetzt auch mehr als das, ein Jüngling mit einer anderen, verborgenen Seite, die in die Sphären der Geister und Götter hineinreichte. Und darauf war er stolz.
    Als er am frühen Nachmittag zu Orm ging, um sich wie üblich im Kämpfen zu üben, fand er den Schwertmeister fluchend vor.
    »Feilanr ist mit Ivar auf Fahrt gegangen, gerade jetzt. Einfach abgehauen ist er!«, schimpfte er. »Also gut, dann werde ich dich einweisen müssen.«
    Die Übungen waren kürzer als sonst, fielen Kyrrispörr aber auch schwerer. Anschließend verordnete Eyvindr ihm Ruhe: »Die kommenden Tage werden anstrengend genug.«
    Er kam nicht umhin, den Eindruck zu gewinnen, dass Æringa ihn mästete.
     
    In der Nacht wurde Kyrrispörr von den Gedanken an das gequält, was er erfahren hatte. Er fragte sich außerdem, was er mit Laggar tun sollte. Aber da gab es eigentlich nur eines: Der Falke und er waren eine Einheit, sie gehörten zusammen, also musste Laggar mit. Wenn Kyrrispörr starb, würde Laggar ihm folgen, wie es auch bei den liebsten Pferden von Fürsten der Fall war …, aber immer wieder musste er an Laggar denken. Wenn das Pferd eines Fürsten nach dessen Tode umgebracht wurde, dann, damit der Herr ein gutes Ross bei sich haben würde, das ihm gute Dienste erwiesen hatte. Aber das Ross war für ihn eben nur ein nützliches Tier, höchstens ein Gefährte gewesen. Doch mit Laggar fühlte sich Kyrrispörr weit enger verbunden. Er wälzte sich auf seiner Bettstatt herum. Er spürte, dass Laggar zu einem Teil von ihm geworden war. Und dass in Laggar ein Teil von ihm weiterleben würde, wenn er starb. Der Vogel sollte leben. Er wusste zu jagen, und er würde sich schnell ohne seinen Herrn zurechtfinden – Kyrrispörr verspürte einen tiefen Trost bei dem Gedanken, dass er die Welt mit Falkenaugen sehen und fühlen würde, wie der Wind durch die Schwingen strich, und das Kitzeln, wenn Laggar abkippte und in den Sturzflug ging. Er erinnerte sich, dass ein Magier vor nicht langer Zeit die Küste Islands in der Gestalt eines Wales erkundet hatte, bevor ihn die Landisir vertrieben hatten; ob Kyrrispörr die gleiche Kontrolle über sich haben würde wie jener? Wie es wohl sein würde, gemeinsam mit Laggars Geist den Vogelkörper zu bewohnen?

Aufbruch
    Ihr Schiff beeindruckte Kyrrispörr. Es war keines der breiten Transportschiffe mit ihren wenigen Rudern und ihrer behäbigen Ausstattung. Vielmehr handelte es sich um ein schlankes Drachenschiff. Dessen Bestimmung war es, Krieger zu transportieren, und es war schlanker und länger als die hervorragenden Boote aus König Olafs Flotte. Kyrrispörr erkannte die Hand eines Meisters in der beinahe fugenlosen Klinkerbeplankung. Dieses Schiff erweckte ganz den Eindruck, als freue es sich schon darauf, sich durch die Wellen zu schlängeln, dem Feind entgegen. Es schien ihm gar von einem ganz eigenen Leben erfüllt, wie es den kleinen Drachenkopf hoch oben auf dem hochgezogenen Kiel reckte.
    Am Tag der Abreise begleitete Æringa Kyrrispörr zum Ufer. Ihr wunderbares Haar war wieder züchtig zu einem Versprechen zusammengebunden. Ihr standen Tränen in den Augen. Ihm fiel der Abschied umso schwerer.
    »Komm heil zurück«, bat sie ihn, als sie ihn zum Abschied umarmte. Kyrrispörr rang für einen Moment um Fassung und vergrub das Gesicht in ihrer Schulter, damit es niemandem auffiel. Ich werde nie mehr zurückkehren, dachte er

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